Mohnweckle, Weitsicht und Nasen – 51. Woche

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War irgendwas diese Woche? Die vorletzte in diesem verrückten Jahr? Ach so, Weihnachten. Klar. Ist ja heute, am Samstag, immer noch. Morgen auch noch. Doch am Dienstag in dieser 51. Woche war nicht nur Wintersonnwende, also der kürzeste Tag und die längste Nacht, sondern auch noch was anderes.

Ich trau mich ja kaum, das hierhin zu schreiben. Also Psssst, ich flüstere Euch jetzt was: Der 21. Dezember war … der globale Tag des … Orgasmus. Oder heißt es des Orgasmusses? Noch viel wichtiger wäre allerdings der 20. Dezember gewesen, also der Montag zuvor: Da wurde nämlich der Internationale Tag der menschlichen Solidarität gefeiert. Habt Ihr’s gemerkt, gespürt? Nicht? Ich auch nicht. Obwohl. All die Schokoladen-Weihnachtsmänner waren sehr solidarisch mit mir und haben sich völlig freiwillig und ohne jegliche Gegenwehr in meinen Mund begeben.

Und dann stand dieser 24. Dezember auch dieses Jahr wieder vor der Tür. Völlig unerwartet. Wie all die Jahre zuvor seit dem Ende meiner Kindheit war ich auch dieses Jahr wieder völlig erschrocken. Und dass mir immer erst am 23. oder sogar erst am 24. einfällt, dass ich noch gar keine Geschenke besorgt habe. Naja, das war jetzt ein klein wenig gelogen. Ich habe Bine vier Nasen geschenkt. Magnetische Nasen, die jetzt bei uns an der Lampe hängen. Die künftig Bines Brillen tragen sollen. Die Nasen habe ich natürlich nicht erst am 23. bestellt. Sondern schon ein paar Tage zuvor. Und natürlich nicht bei Amazon.

Ja, aber eigentlich wollte ich doch was Schönes schreiben. Habt Ihr Weihnachten schön gefeiert? Im Kreis der Familie? Aber vorher natürlich noch einkaufen. Also im Supermarkt. Wahnsinn. Oder? Wie jedes Jahr wieder könnte man denken, es gibt nach Weihnachten nichts mehr zu kaufen. Ich bin extra zwei Tage vor Heiligabend in den Markt und dachte: So schlau ist außer mir niemand. Also … dass ich mich so täuschen konnte. Zwischen den Supermarktregalen kam ich mir vor wie beim Slalomlauf. In jedem Gang kamen mir Dutzende Einkäufer entgegen. Und dann stellte auch noch eine Frau ihren vollgeladenen Wagen mitten in den Weg und lief weg, suchte nach irgendwas. Mitten im Gedränge stand ihr Wagen, so dass die Durchfahrt von allen Seiten blockiert war. Unglaublich. Wie rücksichtslos Menschen doch sein können. Wahrscheinlich war das auch so eine Querdenkerin. Ha. Mit Sicherheit: Wer samstagabends durch Reutlingen spaziert und versucht, mit der Polizei Katz und Maus zu spielen, der ist doch auch fähig zu solchen rücksichtslosen Schandtaten im Supermarkt. Oder?

Unglaublich war dann auch die Erfahrung an der Käse-Wurst-Theke. „Welche Salami hätten Sie denn gerne“, fragte die äußerst freundliche Verkäuferin – leider nicht mich. „Ja, … ach, … was ist denn das hier für eine“, sagte die Kundin nach ausgiebiger Betrachtung der Auslage. „Die Salami ist hier drüben“, sagte die Verkäuferin. Sehr langsam. Sehr bedächtig. Sehr entnervend ging die Frau drei Meter weiter an der Theke entlang. „Ach ja, da nehm ich … 10 Gramm … von der da … wie heißt die … ach, Mailänder … also gut, dann nehm ich die.“ Die Schlange hinter der Frau wuchs und wuchs. Sie wackelte wieder zurück an ihren angestammten Platz vor der Theke und bestellte noch viele weitere Sachen. Ich hingegen verzichtete auf die Wurst. Ich wollte ja eh weniger Fleischliches essen. Außerdem hatte ich an dem Tag auch noch was anderes vor.

Ja, ich weiß, ich wollte doch was Schönes schreiben. Eigentlich. Aber: Die EU könnte sich dafür entscheiden, Atommeiler in den Katalog nachhaltiger Anlageprojekte aufzunehmen. Das würde bedeuten: AKWs sind in Europa künftig quasi mit regenerativen Energien gleichgesetzt und – umweltfreundlich. Und würden dementsprechend gefördert. Wahnsinn. Aufbruch in eine strahlende Zukunft. Ach herrje. Und dann auch noch Heiligabend. Seht nur den Baum. Wie der strahlt. Atomstrom.

Jetzt aber wirklich was Schönes: Am Donnerstag beim Bäcker. Eine Frau bestellt ein Mohnweckle und eine Brezel. Als ich an der Reihe war, sage ich: „Ich hätte gerne vier Mohnweckle und vier Brezeln.“ „Oh, da sind aber nur noch zwei mit Mohn“, sagt der junge Mann hinter der Theke. „Dann nehm‘ ich stattdessen zwei Laugenwecken dazu“, sage ich. „Ach, halt, meinten Sie diese Mohnweckle hier, da gibt’s doch noch vier“, sagt der junge Mann und hebt ein Exemplar in die Höhe. „Ja, genau, die meinte ich“, freue ich mich. Die Frau neben mir hat alles beobachtet und sagt dann: „Wenn’s arg dringend wär‘, könnten Sie mein Mohnweckle auch noch haben.“ „Das ist sehr nett von Ihnen“, entgegne ich. „Aber so dringend wär’s dann doch net gwä.“

Zum Schluss noch ‘n Spruch von Oscar Wilde: „Am Ende wird alles gut. Und wenn es noch nicht gut ist, ist es noch nicht das Ende.“ Ah ja. Na dann. In diesem Sinn, rutscht gut rüber. Und vergesst nicht: „Deutsche, lasst Euch impfen.“ Das könnte eine Aufforderung von Kanzler Olaf Scholz in seiner Neujahrsansprache sein – hat aber der alte Johann Wolfgang von Goethe schon 1811 gesagt. Jetzt gucket da no. Wie weitsichtig manche Menschen doch schon vor Jahrhunderten waren.

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