Endlich Amrum – 5 Watt

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Watt?

Seltsam. Seitdem Luka am Samstag abgefahren ist, ward die Sonne hier auf Amrum fast nicht mehr gesehen. Seitdem ist es bedeckt, windig, kühl. Vorher war es warm, sonnig, heiß. Auch heute zeigt sich die Sonne wieder nicht. Der Blick aus dem Fenster über den Frühstückstisch hinweg weckt nicht gerade die Lust, rauszugehen. Obwohl. An den heißen Tagen hier auf der Insel war diese Lust auch nicht riesengroß. Da dachten wir: Viel zu heiß. Jetzt: Hmm. Sehr frisch. Man kann es uns offensichtlich nie Recht machen.

Und doch sind wir natürlich irgendwann raus. So ein kühles Wetter eignet sich doch bestens zum Spazierengehen an der Wattseite der Insel entlang. Wunderbare Idee von Bine. Zuerst sind wir aber zum Norddorf-Edeka gefahren, Nachschub holen – unser Getränkebedarf ist enorm. Und das nicht nur bei Hitze, auch bei kühleren Temperaturen. Das liegt aber nicht allein am Wein, den wir abends konsumieren. Nach Einkaufen und einer Zwischenmahlzeit ging’s los. Der Weg am Watt entlang erwies sich als recht gut bevölkert, einige Spaziergänger waren auf die gleiche Idee gekommen. Und was war das für ein Tirilieren, Trillern, Pfeifen, Zirpen und was Vögel nun mal so alles an Lauten von sich geben. Die Luft war quasi erfüllt von dem Gepfeife der fliegenden Gesellen. Das steigerte sich immer noch, wenn wir uns offensichtlich dem Gelege eines Pärchens näherten – allerdings ohne, dass wir den Fußweg verließen. Hin und wieder trippelte gar so ein Rotschenkel vor uns her, versuchte uns ganz offensichtlich von seiner Partnerin wegzulocken. Gleiches taten auch hin und wieder schwarzweiß gemusterte Austernfischer, die mit ihren knallroten Schnäbeln und den ebenso gefärbten Beinen am auffälligsten und zahlenmäßig auch am häufigsten in den Salzwiesen ein unglaubliches Getöse veranstalten. Es hörte sich an wie Kiwitt, kiwitt oder auch Igitt, igitt? Als vogelkundlicher Laie bin ich froh, in unserer Unterkunft ein Buch „Vögel über Watt und Meer“ gefunden zu haben. Da steht einiges drin, auch über Austernfischer. Nur nicht, wie und welche Laute sie von sich geben. Oder ich hab’s einfach nicht gefunden.

Auf jeden Fall war dieser Spaziergang sehr faszinierend. Wann kommt man überhaupt mal Nordseevögeln so nah? Zum Teil bis auf zwei Meter? Und dann sahen wir in einem ausgetrockneten Wassergraben der Salzwiesen auch noch zwei winzige graue Wattebäuschchen, also zwei Junge von Säbelschnäblern, die direkt unter uns entlangwatschelten. Extrem süß. Studien konnte man allerdings auch über die Menschen anstellen: Als wir uns auf eine Bank am Wegesrand setzten, kamen jede Menge Touristen vorbei, die sich sehr unterschiedlich verhielten. Einige schauten krampfhaft auf die andere Seite, manche grüßten mit „Moin, moin“, andere sagten freundlich Hallo, wieder andere blickten uns an, scheinbar geradezu verbissen, ohne den Mund auch nur annäherungsweise zu öffnen. Wieder andere grinsten, schmunzelten uns freundlich an. So unterschiedlich sind sie, die Menschen.

Sehr nett sind auch die Wortfetzen, die man hier auf der Insel immer mal wieder aufschnappen kann. So wie gerade vorher, als ein junges Paar hinter einem Auto stand, es anblickten und sich offensichtlich unterhielten. Als wir uns mit dem Fahrrad näherten, sagte sie gerade: „Wenn das Auto schwarz wäre, dann wäre es ziemlich schwarz.“ Ob es sich lohnt, sich weitergehende Gedanken über solch eine aus dem Zusammenhang herausgerissene Bemerkung zu machen? Vielleicht eher nicht. Ein weiteres Beispiel? Ein paar Meter zuvor hatte ein Mann offensichtlich etwas entnervt zu seiner vermutlichen Gattin gesagt – die beide mitten auf der Straße standen und uns den Weg versperrten: „Dann kauf dir doch endlich so einen Bollerwagen.“ Ob ich das richtig verstanden habe? Ich horchte noch mal den Worten nach, konnte aber nichts anderes draus machen. Das Bild eines Bollerwagens tauchte vor meinem geistigen Auge auf, wie er an jedem Strandübergang zu mieten ist. Allerdings war damit auch gleich die Frage verbunden, wie die ziemlich gewichtige und doch schon etwas ältere Frau in solch einen Wagen hätte hineinpassen sollen, der doch eigentlich eher für Kindertransport vorgesehen ist?

Egal. Sehr amüsant fand ich eine Bemerkung von einem nicht mehr sehr jungen Mann, der ebenso wie seine Frau auf einem Fahrrad saß, er hatte eine sehr auffällige knallgelbe Hornbrille auf, drehte sich gerade zu seiner Gattin um, als wir vorbeifuhren und sagte: „Darf ich endlich mal in dem Gang fahren, den ich will?“ Der Ton war nicht gerade freundlich, was mich zum Schluss verleitete, dass offenbar Ehepaare auch im Urlaub ihre Probleme miteinander haben und sie die sogar in aller Öffentlichkeit ausfechten. Oder ich habe die Bemerkungen wirklich aus dem Zusammenhang herausgerissen und die Paare haben sich gar nicht gestritten, sondern einfach extrem freundlich miteinander diskutiert, ob und welche Art der Fortbewegung sie künftig miteinander wählen sollen? Ob weiß, ob schwarz, ob mit oder ohne Bollerwagen oder in einem anderen Gang, den ein armer Mann im Beisein seiner Frau nicht wählen durfte? Wer weiß das schon. Ich auf jeden Fall nicht.

Doch zurück zum Wattwanderweg: Als wir von Nebel den gleichen Weg zurückliefen, den wir gekommen waren, schauten wir zum einen verwundert, weil beim Hinlaufen von Wasser keine Spur zu sehen war. Das Wattenmeer zeigte unerschrocken seinen blanken Boden. Beim Rückweg hingegen plätscherte das Meerwasser munter an die Salzwiesen und an den schmalen Strand heran. So schnell ging das? In nicht einmal eineinhalb Stunden hatte sich die Ebbe verzogen und spülte die Flut das Wasser wieder heran? Eine andere Frage beschäftigte Bine, nachdem wir ein paar Kaninchen auf einer zuvor offensichtlich von Pferden besiedelten Wiese (wegen der Pferdeäpfel) gesehen hatten: „Sind Kaninchen eigentlich nacktaktiv?“ Sofort verbesserte sie ihren Versprecher. „Nachtaktiv, meinte ich natürlich.“ Ja, antwortete ich. „Kaninchen ziehen nachts ihr Fell aus und sind dann sehr nacktaktiv.“

Tatsächlich würden sich Kaninchen auf Amrum sehr schnell vermehren, wie Georg Quedens als Inselfotograf, Autor zahlreicher Bücher, Referent von unzähligen Vorträgen und als ausgewiesener Insel-Kenner in den Online-„Amrum News“ am 23. Juni 2016 geschrieben hatte: „Karnickel vermehren sich wie die Karnickel.“ Weiter führte er aus, dass die kleinen Nager jährlich dreimal Junge kriegen, die Jungen wiederum nach nur wenigen Monaten selbst wieder Nachwuchs zur Welt bringen. „Einheimische Jäger sind nur noch selten unterwegs“, beschrieb Quedens vergebliche Maßnahmen zur Reduzierung der Kaninchenmenge. „Von jährlich anreisenden Falknern ist auch keine spürbare Regulierung zu erwarten“, so der Autor weiter. Auch die wenigen Greifvögel auf Amrum könnten keine Reduzierung bewirken. Einzig durch den Autoverkehr würden jährlich ein paar hundert der putzigen und so unglaublich kleinen Vertreter der Gattung „Oryctolagus cunniculus“ (lateinisch) erlegt. Allerdings haben wir bei unserem diesjährigen Aufenthalt auf der Insel die Kaninchen noch nicht so massenhaft gesehen, dass wir von einer Plage sprechen würde. Wenn allerdings die Tierchen vor allem nacktaktiv sind.

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