In der Wartschleife

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Ich sitze in einer Warteschleife. Oder hänge. Oder wie man immer das auch nennen mag, wenn im Telefon immer die gleiche Melodie ertönt. Und dann die Stimme, die schon zum 183. Mal sagt: „Bitte haben Sie einen Moment Geduld. Wir sind gleich für Sie da.“ Ich äffe die Stimme nach: „Dädädäää – bitte haben Sie doch Geduld – Nein, habe ich nicht, verdammt.“ Vielleicht kam die Ansage auch schon zum 242. Mal. Ich weiß es nicht. Nebenher schreibe ich diesen Text. Und warte sehnsüchtig darauf, dass sich am anderen Ende der Leitung … wobei: Eigentlich gibt es beim Mobilfunk doch gar keine Leitung mehr? Oder habe ich da was falsch verstanden? Ich stelle mir vor, wie sich zwischen meinem Smartphone und dem Callcenter, mit dem ich ja wohl verbunden bin, eine kilometerlange Leitung windet. Eine unsichtbare Leitung natürlich. Eine digitale. Und wenn ich an dieser Leitung ziehen würde? Würde dann jemand am anderen Ende vom Stuhl fallen? Oder würde ich der Computerstimme mit dieser nervtötenden Ansage den Stecker rausziehen? Ich schweife ab. Wo war ich gerade? Ach ja, sehnsüchtig warte ich darauf, dass sich jemand von der Technik bei der Bank meines Vertrauens meldet. Obwohl – mein Vertrauen sinkt mit jeder Minute immer weiter. Die Dame, die mich zunächst verbunden hat, sagte, dass ich nicht der Einzige sei, der das Problem mit dem Online-Banking hat. Das beruhigt mich natürlich ungemein. Und sie meinte, bis heute Abend 20 Uhr sei jemand da in der Technik. Sehr beruhigend. Dann hat sie mich in die Warteschleife geschickt. Es ist ja erst 16 Uhr. Da habe ich ja noch ganze vier Stunden Zeit, denke ich. Boah ey.

Währenddessen nervt die immer gleiche Melodie enorm. Sie verursacht sogar Kopfschmerzen. Und dieser Schmerz hämmert und bohrt nach kurzer Zeit, frisst sich durch meine Gehörgänge ins Gehirn hinein und breitet sich dort aus. Ich sollte an etwas anderes denken, doch die Melodie, diese schreckliche Melodie und dann wieder die Ansage, gleich ist jemand für Sie da … Ich bin der Verzweiflung nahe, sinke auf die Knie, schaue mein Smartphone an und rufe, nein, schreie hinein: „Bitte, bitte, bitte.“ Als sich tatsächlich nach gefühlten zwei Stunden eine Frauenstimme meldet, schrecke ich hoch. Ich sage etwas verstört und auch erschöpft: „Ich bin wahrscheinlich der 358. Anrufer, der heute mit dem gleichen Problem zu Ihnen kommt.“ Weiter erläutere ich, dass ich ein Update vermeintlich nicht vollständig herunter- oder hinaufgeladen habe, also wiederholte ich das Ganze mindestens fünfmal, bis gar nichts mehr ging und eine Fehlermeldung erschien, die sagte: „Ein Fehler ist aufgetreten. Bitte kontaktieren Sie Ihre Bank.“ In meinem Innern ballt sich symbolisch schon wieder die Faust in der Hosentasche. Die Dame in der Technik jedoch lächelt mich durch die nicht vorhandene Telefonleitung an und sagt, dass ich heute der erste Kunde sei, der mit diesem Problem zu ihr komme. Wahrscheinlich hat sie soeben erst ihren Dienst angetreten, denke ich. „Aber meine Kollegen haben mich schon vorgewarnt, dass da einiges auf mich zukommen könnte“, sagt sie dann.

„Verwenden Sie die Kaspersky-Sicherheitssoftware“, will sie dann ganz abrupt von mir wissen. Mir wird ganz übel, hatte ich doch gestern erst erfahren, dass Kaspersky eine russische Software sei. Und die soll meine Sicherheit garantieren, hatte ich gedacht. Naja, sagte ich dann aber zu meiner lieben und verständnisvollen Frau. „Schlechter als die amerikanische Software, die uns ausspioniert, wird sie auch nicht sein“, meinte ich eher im Spaß. Und jetzt, nur einen Tag später haben sie zugeschlagen, die Russen. Ich gebe gegenüber der Technik-Fachfrau geradezu verschüchtert zu, dass ich Kaspersky verwende und rechne mit dem Schlimmsten. Die freundliche Dame am anderen Ende … also am Telefon … meint daraufhin, ich soll die Software für ein paar Minuten ausschalten. „Kaspersky und unser Update vertragen sich nicht“, erklärt sie. Aha. Was das jetzt über Kaspersky oder über meine Bank aussagt – ich bin mir da nicht wirklich so ganz schlüssig. „Okay, ich probiere das und sollte das Update dann immer noch nicht funktionieren, melde ich mich wieder“, sage ich – und denke in dem Moment nicht an die Folgen erneuter stundenlangen Verharrens in der Warteschleife. In dem Moment hoffe ich einfach, dass meine letzte Äußerung nicht wie eine Drohung klingt. Aber immerhin bin ich ja freundlich geblieben, ich wurde nicht verbal ausfällig, unverschämt oder brutal. Denke ich zumindest.

Ich mach also genau das, was die Dame mir empfohlen hat. Und siehe da – es klappt tatsächlich. Wie gut, dass manchmal im digitalen Zeitalter tatsächlich auch was funktioniert, denke ich. Da haben sich die gefühlten zwei Stunden in der Warteschleife denn doch gelohnt. Und die Kopfschmerzen, die werden hoffentlich auch irgendwann nachlassen – wenn Luka mit seinem E-Gitarrenspiel zwei Stock höher fertig ist. Ich liebe ja die uralte Musik von Deep Purple. Aber wenn mir „Strange kind of woman“ (ähnlich wie das viel schlimmere Gedudel in der Warteschleife) zum 98. Mal nahezu perfekt in die Gehörgänge gehämmert wird, dann kann selbst solch ein Lied nervtötend wirken. Was bleibt? Einzig der Griff zu meinen Noise-cancelling-Kopfhörern, die ich mir zugelegt habe, als unser neuer Nachbar im direkt angrenzenden Reihenhaus tagelang Wände herausgehämmert, durchbohrt und eingerissen hat. Wir dachten häufig, dass er sogleich bei uns im Wohnzimmer oder in der Küche stehen wird. Mit dem Presslufthammer in der Hand. Allein der Gedanke an diese Tage des akustischen Horrors lassen die Warteschleife zur Bank fast schon wie harmonische Musik in meinen Ohren erklingen. Also: Kopfhörer auf. Und „Child in time“ hören. Hammerlaut. Aber erst, wenn die Kopfschmerzen nachgelassen haben.

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