Endlich Amrum – 1 Anfahrt

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Ach ja. Unser Urlaub im Corona-Jahr 2020 beschränkte sich auf vier Tage am Bodensee Anfang März, also kurz vor dem ersten Lockdown. Seitdem bleibt uns nichts anderes als von schönen Tagen in der Bretagne zu träumen – dort wollten wir eigentlich im September hin. Oder uns zu erinnern. An Amrum zum Beispiel. Da waren wir im Mai/Juni 2018 das letzte Mal. Schön war’s da. Und wer will, kann sich mit uns zusammen ein wenig erinnern. Die Insel erkunden. Und mitschmunzeln.

Zugfahren

Urlaub. Endlich Amrum. Allerdings beginnt der erste Urlaubstag in Reutlingen. Und das um 3 Uhr 50. Also mitten in der Nacht – was sich nicht wirklich nach Urlaub anfühlt. Aufstehen, duschen, die letzten Dinge in den Koffern verstauen, Brote richten, Müll rausbringen, dutzendfach die Frage: Haben wir alles? Auf die letzte Minute schaffen wir (hoffentlich) alles, das Taxi wartet schon vor der Tür. Irgendwie müssen wir ja zum Bahnhof kommen. Um diese Uhrzeit (5 Uhr 20), zu der noch keine Busse fahren. Der Taxifahrer hat seine 12stündige Schicht fast hinter sich. Unser Zug soll um 5 Uhr 47 kommen, wir haben fast noch eine halbe Stunde Zeit an Gleis 1. Die Menschen, die um solch eine Uhrzeit dort herumstehen, sind entweder grölende Jugendliche, junge farbige Erwachsene, ganz wenige Ältere. Eine Möglichkeit, sich als Exot zu fühlen? Die Fahrt nach Stuttgart verläuft ereignislos, Müdigkeit macht sich breit, solange, bis die Schaffnerin kommt. Eine junge Frau. Hört man nicht verstärkt davon, dass Zugbegleiter immer öfter verbalen und körperlichen Ausfällen ausgesetzt sind? Was macht so eine junge, zierliche Frau, wenn sie angepöbelt wird, womöglich von einem Zwei-Meter-Muskelpaket?

„Unsere“ Schaffnerin hat Glück, keine Vorkommnisse in unserem Abteil. In Stuttgart, Deutschlands vermeintlich größter Baustelle, müssen wir wieder warten. Fast eine Stunde. Luka sagt, wir hätten auch eine Dreiviertelstunde später in Reutlingen losfahren können. Hätte ihm auch früher einfallen können. Mir fällt nun wieder ein, dass die erste, bewusst wahrgenommene Meldung heute Morgen im Radio lautete: „Zwischen Hamburg und Westerland kann es aufgrund veralteter und verbogener Gleise zu Verspätungen und Zugausfällen kommen.“ Hinzu komme, dass streckenweise Züge nicht schneller als 20

Stundenkilometer schnell fahren könnten. Wunderbar hatte ich gedacht. So gut kann ein Tag anfangen. Das ist genau die Strecke, die wir nach der Fahrt von Reutlingen nach Hamburg im vergangenen Jahr schon ziemlich negativ erlebt hatten. Als ein Zug ausfiel, der nächste mit Stunden Verspätung losfuhr, völlig überfüllt war. Heute gibt es im ICE schließlich das übliche Gedränge, bis jeder seinen Platz gefunden hat. „Bitte nehmen Sie die Koffer aus dem Gang, das ist ein Fluchtweg“, sagt der Schaffner. „Wo sollen wir sie hintun“, fragt ein Fahrgast. Seltsamerweise verschwinden aber alle Koffer tatsächlich – obwohl sämtliche Gepäckverwahrmöglichkeiten rappelvoll waren. Ab Mannheim wird es dann völlig chaotisch. Dutzende Menschen stehen in den Gängen, die doch eigentlich Fluchtwege sind. „Wie kann man überhaupt so viele Fahrkarten verkaufen“, ist vielfach zu hören. Ein Mann weigert sich, von einem reservierten Platz aufzustehen, mit der Begründung: „Mein Platz ist auch belegt, ich habe noch nie meinen reservierten Platz erhalten, immer war er belegt.“ „Des is ons oins und so was von egal“, antwortet eine Frau in schönstem Mannheimer Singsang-Slang.

Ein Mann quetscht sich durch die Menschenmassen im Gang, zwei Kaffeebecher jonglierend. Die Stimmung scheint trotz Überbelegung entspannt. Kurze Zeit später ist schon Frankfurt-Flughafen erreicht, die ganz große Menge steigt aus, der Gang ist wieder frei. Wider Erwarten lesen viele der Zuggäste in Zeitungen und Büchern, die Jüngeren starren in ihre Smartphones oder Tablets. Bei mir bricht die große Zeit der Müdigkeit an. Das Problem dabei: Die Sitze sind derart unbequem, dass ich keine Position finde, in der ich schlafen kann. Sabine und Luka geht es ebenso.

Aber dann: Super. Mit nur 10 Minuten Verspätung haben wir Hamburg erreicht, Luka konnte sogar noch zu McDonalds, sein geliebtes Fastfood vertilgen. Sogar der Anschlusszug – der ja auf der erwähnten Strecke Hamburg-Westerland fährt – kommt fast pünktlich. Also alles gut? Mitnichten. Rund eine Viertelstunde sind wir unterwegs, da hält der Zug plötzlich mitten auf der Strecke an. Bald kommt eine Durchsage, dass eine Weiche nicht richtig funktioniere. Soso. Wir stehen seit rund einer halben Stunde – und jetzt, während ich schreibe – setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Dabei hatte der Lokführer vor kurzem noch gesagt, dass ein Techniker an der Weiche vor Ort sei, er, der Lokführer, aber nicht sagen könne, wie lang die Behebung des Fehlers dauern werde. Schneller als jeder dachte, hat der gute Mann offensichtlich das Problem behoben. Hut ab. Ob wir die Fähre um 16 Uhr noch kriegen, steht allerdings in den Sternen. Wir werden sehen.

Ach, ist das herrlich. Der Zug rollt. Rollt. Rollt. Rollt nicht mehr. Gerade wollte ich schreiben, wie schön das ist, hier über das platte Land zu fahren, das immer mehr dem Landstrich ähnelt, der auch auf Amrum zu finden ist. Wahrscheinlich hätte ich das nicht tun sollen. Erstens stehen wir nun vor (oder hinter) ein paar Bäumen, die uns die Sicht auf das flache Land verdecken. Zweitens stehen – Entschuldigung – standen wir schon wieder. Jetzt rollen wir weiter. Und keiner weiß, warum. Egal. Wir rollen. Unaufhaltsam (???) unserem Ziel entgegen. Niebüll wartet. Und dort hoffentlich der nächste Bummelzug nach Dagebüll. Wo dann hoffentlich die Fähre wartet. Oder wir auf die Fähre. Wie auch immer.

Mehrfach hielt der Zug nochmals an, schlussendlich hat aber alles funktioniert – wenn wir die 16-Uhr-Fähre

auch nicht mehr erreichten. Trotzdem: Wie herrlich auf der Fähre die ganz leichte Brise zu spüren. Unglaublich warm ist es dort, sehr warm. Nun ist aber fast alles gut, auch wenn wir nicht um 18, sondern um 20 Uhr auf Amrum ankommen. Aber das Wetter ist eine Wucht, der Bus nach Norddorf war – wie schon von mehreren Ankünften auf Amrum gewohnt – viel zu voll. Weil die Menschen nun mal mit ihren Koffern viel Platz belegen. Die Wohnung hier bei Frau Schult-Hinrichs ist gut, Dusche okay. Fazit: Die Mühsal von 14 Stunden Anreise hat sich gelohnt. Einmal mehr. Amrum. Endlich. Herrlich.

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