Integration als Chance begreifen – „jetzt erst recht“

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Fachtagung im Reutlinger Matthäus-Alber-Haus, Thema „Sprache als Chance oder Hindernis zur beruflichen Integration“

Die Liste der Hindernisse und Probleme auf dem Weg zu einem Arbeitsplatz für geflüchtete Frauen ist lang. Viele wissen nichts über mögliche Hilfen, mangelnde Sprachkompetenz ist eine Hürde, aber auch die unzureichende Betreuungssituation für Kinder, betonten Galina Lerner (Bidlung in MigrantInnenhand, BIM) und Ina Kinkelin-Naegelsbach (vom Diakonieverband Reutlingen) am vergangenen Montag im Matthäus-Alber-Haus.

Beide Organisationen stehen hinter dem Projekt „My Integration“. Die Finanzierung erfolgt über den Europäischen Sozialfonds (ESF) und läuft unter dem Dach des Bundesprogramms „My turn“. „Unser Projekt hier im Kreis Reutlingen ist bundesweit eines von 66 und wir begleiten schon im ersten Jahr rund 300 Frauen“, sagte Kinkelin-Naegelsbach. Auch Lerner zeigte sich begeistert: „Die Kooperation zwischen BIM und dem Diakonieverband ist genial.“

Am vergangenen Montagabend sind die Mitarbeiterinnen, Kooperationspartner wie Jobcenter, Agentur für Arbeit und auch Daniel Tress als gastronomischer Unternehmer aus der Region in Reutlingen zusammengekommen, um ein erstes Fazit zu ziehen. Das fiel aus Sicht der Migrantinnen aber nicht durchweg positiv aus: Zwar würden sie sich über die Begleitung und Unterstützung freuen, aber im Blick auf den Arbeitsmarkt „fühlen sie sich oft, als ob sie immer wieder gegen Wände laufen“, sagte Kinkelin-Naegelsbach.

Die Hürden zu den Unternehmen oder anderen Arbeitgebern seien immer noch viel zu hoch. „Viele werden nicht mal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen.“ Für die Ina Kinkelin-Naegelsbach ist das völlig unverständlich: „Es fehlen doch jede Menge Fach- und Arbeitskräfte, wieso laufen Migranten immer noch gegen Wände?“

Eine Frage, die auch Zeitarbeitsfirmen offensichtlich nicht lösen: In einem Workshop erörterten am Montagabend einige Teilnehmer ihre Erfahrungen: „Die Zeitarbeitsfirmen nutzen die Bewerber aus, um billige Arbeitskräfte zu vermitteln – ein Interesse an der Weiterentwicklung der Menschen gibt es da nicht“, fasste Florian Hecht als Mitarbeiter des Diakonieverbands zusammen. „Viele unserer Klienten haben schlechte Erfahrungen mit Zeitarbeitsfirmen gemacht, die Menschen haben kein Vertrauen mehr in sie.“

Ganz andere Erfahrungen hat Daniel Tress als Geschäftsführer der Tress Gastronomie GmbH gemacht: Mit zahlreichen Beschäftigten aus der ganzen Welt arbeiten er und seine Brüder in den gastronomischen Betrieben zusammen. „Wir sehen unser Unternehmen als Brückenbauer, für uns waren unsere Beschäftigten schon immer eine Bereicherung.“ Und das auch, wenn sie noch sehr wenig Deutsch sprechen.

Markus Dick stellte als Leiter des Reutlinger Jobcenters am Montag das Programm vor, das auch im Kreis Reutlingen schnellstmöglich Geflüchtete in Arbeit bringen soll – den Jubturbo. Die Intensität der Betreuung soll dabei deutlich gesteigert werden – allerdings mit gleichbleibendem Personal im Jobcenter. Und die Umsetzung von speziellen Berufssprachkursen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat auch ihre Tücken: Zwar soll mit diesen Kursen laut Halil Korkmaz ebenfalls die schnellere Integration in den Arbeitsmarkt gelingen – solch ein Kurs findet aber nur statt, wenn sich ausreichend Teilnehmer finden. „Sonst lohnt sich das für den Anbieter nicht“, so Korkmaz.

Problematisch sei besonders im ländlichen Raum zudem der ÖPNV – wer einen B2-Kurs in Reutlingen besuchen will, hat als geflüchtete Frau nicht nur Probleme mit den Busverbindungen, sondern auch mit der Vereinbarkeit von Sprachkurs und Alltag. Manches Mal fehlen laut Korkmaz Kinderbetreuungsplätze, häufig Lehrkräfte und auch Räume.

Aber: Viele Frauen empfinden solch einen Kurs als sicheren Ort. „Was schlussendlich aus dem Projekt ‚My Integration‘ wird, muss sich zeigen“, sagte Ina Kinkelin-Naegelsbach. Ob tatsächlich vermehrt Frauen mit Migrations- oder Flüchtlingshintergrund schneller und besser in den Arbeitsmarkt integriert werden können? Die große Zahl der Frauen, die jetzt schon betreut wird, gibt nach den Worten der beiden Projektleiterinnen Hoffnung. Ob die Migrantinnen aber nach Abschluss immer noch gegen Wände laufen – das liegt auch und vor allem an den Unternehmen, Firmen, Institutionen.

Dr. Joachim Rückle hatte als Geschäftsführer des Diakonieverbands zu Beginn der Fachtagung am Montag auf eine sehr bedenkliche Entwicklung hingewiesen: „Vielen Menschen in Deutschland ist jetzt Abschreckung wichtiger als Integration.“ Rückles Antwort darauf: „Jetzt erst recht, wir schauen, wie wir die Integration hinkriegen.“ Zuwanderung sei eine große Chance – auch wenn sie oft nicht so gesehen werde.

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