Reutlinger Tafel feiert 25jähriges Bestehen – Idee entstand nach der ersten Vesperkirche – Unterstützung von der Stadt
„Am 3. November 1999 ist die Reutlinger Tafel eröffnet worden“, erinnert sich Günter Klinger. Der ehemalige Geschäftsführer des Reutlinger Diakonieverbands war damals mit dabei, mittendrin, mit anderen. Wie etwa dem einstigen Sozialamtsleiter der Stadt, Helmut Becker. Er hatte damals, Ende der 1990er Jahre, eine neue Nutzung für die Räume in der Rommelsbacher Straße 1 gesucht. Das wäre doch was für eine Tafel, hatte Becker damals gesagt, wie Klinger ausführt.
Das Bild stammt aus dem Jahr 2016, die Damen haben hier in der Tafel Gemüse und Obst sortiert, gesäubert und für den Verkauf vorbereitet (das Foto ganz oben zeigt die Tafel-Fahrer Peter Andel und Willi Gödde bei der Arbeit).
„Zusammen mit der Caritas haben wir schon früher über die Einrichtung einer Tafel nachgedacht“, so Günter Klinger. „Nach der ersten Vesperkirche haben wir im Kreis der Ehrenamtlichen gefragt, ob sich Freiwillige für die Gründung einer Tafel finden würden.“ Mit dabei war Pfarrer Klaus Kuntz, der Initiator und Gründer der Reutlinger Vesperkirche. Aber auch einige honorige Leute, wie etwa Hans-Helmut Lechler, der vormalige Chef der Deutschen Bank in Reutlingen, wollten mitmachen. „Aber es war ein Team, das darüber nachdachte, einen Tafel-Verein zu gründen.“
Der Gedanke wurde nach vielen Besuchen von anderen Tafeln im Land aber wieder verworfen. Gegründet und geführt wurde die Reutlinger Tafel dann unter dem Dach des Diakonieverbands. Die Ehrenamtlichen haben dann unzählige Läden, Supermärkte, Discounter in der Region abgeklappert, gefragt, ob sie Lebensmittel spenden würden, die nicht mehr zum Verkauf taugten. „Es ging darum, Lebensmittel vor dem Wegwerfen zu retten – und damit auch um die Bewahrung der Schöpfung“, so Klinger.
Im Jahr 2021 erhielten die Fahrer der Tafel ein neues Kühlfahrzeug – was auch dringend notwendig war.
„Die Fahrer haben anfangs die Waren mit ihren eigenen Pkw abgeholt.“ Zunächst sei die Tafel „ziemlich hemdsärmelig“ angegangen worden, bis einige Probleme auftraten, wie zum Beispiel: Die Lebensmittelkontrolle, die schon bald forderte, dass die Kühlkette eingehalten werden müsse. Ein HACCP-Konzept wurde eingeführt, um die Unbedenklichkeit von Lebensmitteln zu gewährleisten. Dann wurde klar, dass die Privatautos der Ehrenamtlichen nur bedingt taugte. Pfarrer Kuntz suchte und fand eine Möglichkeit, ein VW-Bus wurde geleast, das Gas von der Fair-Energie gesponsert. Doch ein Fahrzeug reichte bald nicht mehr, ein zweites folgte, das auch gesponsert wurde.
Die erste, noch ehrenamtliche Leitung teilten sich zwei Frauen, Erika Gademann und Inge Lupprich. „Sie haben die Einsatzpläne geschrieben und waren für alles zuständig.“ Vier Tage in der Woche war die Tafel geöffnet, dann wurde der Raum zu eng. „Die Tafel zog in das alte Spital hinauf.“ 40 bis 60 Ehrenamtliche waren immer notwendig, um die Lebensmittel abzuholen, das Gemüse und Obst vorzubereiten, zu reinigen, auszusortieren.
„Irgendwann war der Zeitpunkt erreicht, dass die Tafel professionalisiert werden musste“, sagt Günter Klinger. Mit Bernd Jaus wurde die erste hauptamtliche Leitung installiert, damals über eine ABM-Stelle. Auf ihn folgte Rose Biedermann, dann übernahmen Karin Schenk und Gisela Braun gemeinsam, die auch heute noch zuständig sind. „Schon immer war gegenüber den Ehrenamtlichen, den Kundinnen und Kunden, aber auch gegenüber den Läden viel Fingerspitzengefühl vonnöten. Klingers Fazit: „Es ist gut, dass es die Reutlinger Tafel gibt, sie ist aus der Stadt nicht mehr wegzudenken.“
Und es kamen ja noch drei weitere Tafeln hinzu, in Münsingen, Metzingen und in Bad Urach – alle waren und sind unter dem Dach des Diakonieverbands. „Da war ganz viel Aufwand von den Leiterinnen der jeweiligen Diakonischen Bezirksstellen nötig.“ Auch in den drei Kommunen galt es, einen Stamm von Ehrenamtlichen aufzubauen, Lieferanten und Räume mussten gefunden werden.
Und heute? Wie ist jetzt die Situation in der Reutlinger Tafel? Zwei Hauptamtliche sind dort tätig, Gisela Braun und Karin Schenk. Dazu bringen sich heute rund 90 Ehrenamtliche ein, der Kundenstamm hat sich während des Ukraine-Kriegs fast verdoppelt.
„Wir haben die Tafel im März 2019 übernommen, ein Jahr später kam Corona“, sagt Braun. Die Öffnungszeiten mussten geändert werden, damit sich im Tafelladen nicht mehr so viele Menschen begegneten. Vor allem ältere Ehrenamtliche fielen aus, weil sie geschützt werden sollten. Dafür sprangen Studenten und Aktive der „Drei Musketiere“ ein. „Wir haben in der Zeit Kunden beliefert, das war extrem stressig“, so Braun.
Als sich die Situation langsam wieder normalisierte, kam im März 2022 der Ukraine-Krieg. „Die Kundenzahlen haben sich danach nahezu verdoppelt.“ Die ukrainischen Flüchtlinge durften ohne den sonst üblichen Berechtigungsschein einkaufen, „sie haben uns quasi überrollt“.
Viele Lücken in den Regalen sind nun häufiger anzutreffen.
Mittlerweile pendelten sich die Kundenzahlen auf 100 bis 120 pro Öffnungstag ein – gleichzeitig werde es immer schwerer, Lebensmittelspenden zu erhalten. „Die Läden kalkulieren heute ganz anders, sie bestellen schon weniger.“ Unter den Ehrenamtlichen finden sich laut Gisela Braun „Junge, Ältere, eine Frau ist über 80“. Unterschiedlichste Menschen bringen sich ein, Rentner, Studenten, Syrer, Ukrainer. „Aber uns fehlen Fahrer“, sagt Braun. Wer Interesse habe, könne sich jederzeit bei der Tafel melden.
Gisela Braun verabschiedet sich in Kürze in den Vorruhestand, im Moment lernt sie ihre Nachfolgerin ein: Ljiljana Conzelmann war zuvor schon als Ehrenamtliche in der Tafel tätig, „sie kennt die Abläufe und ich kann mich mit einem guten Gefühl verabschieden“, sagt Gisela Braun.