„Wir leben im Komödienstadel“ – Unternehmerfrühstück mit Boris Palmer

0

Forbisnet Business Club hatte zu Frühstück mit Tübingens OB Boris Palmer um 6 Uhr 30 ins Hotel Fortuna eingeladen

 „Als ich zu dem Unternehmergespräch angefragt wurde, dachte ich zunächst – 6 Uhr 30, das muss ein Fehler sein“, so Boris Palmer am Dienstagmorgen beim Frühstück mit dem Tübinger Forbisnet Business Club. In 18 Jahren als Rathauschef habe er solch eine Anfrage zu solch einer Uhrzeit noch nicht erhalten. Ein Novum also.

Und das sollte es nach den Worten von Peter Wolf und Ferdinand Schneider auch sein – ein Novum im Umgang von Unternehmen mit der Verwaltung. „Um 6 Uhr 30 haben Unternehmer für gewöhnlich noch keine Termine“, so Schneider. Was der ziemlich neue Unternehmer-Club will? „Wir wollen was verändern, verbessern und fragen uns, was wir tun können, damit wir gemeinsam und nicht gegeneinander arbeiten“, so Wolf als Moderator des Morgens vor etwa 25 interessierten Unternehmerinnen und Unternehmern aus Tübingen und der Region.

Erstes Thema bei diesem Gespräch: „Die Umwelt voranzubringen geht nicht ohne die Wirtschaft“, sagte Peter Wolf. Palmer war sofort auf Betriebstemperatur: „Seit 18 Jahren rede ich mir den Mund fusselig, um die Nutzung von Dächern in der Stadt voranzutreiben.“ Aber: Lediglich auf 3 Prozent der Dachflächen seien bislang Fotovoltaikanlagen, „das heißt: 97 Prozent sind noch frei, davon viele große Firmendächer“.

Das sei alles zu bürokratisch, außerdem unklar, ob man den Strom selbst oder auch Mieter ihn nutzen dürften, sagte Wolf. Okay, entgegnete Palmer, „ihr sagt, Scheißbürokratie, aber es gibt doch die Möglichkeit, eure Dächer an die Tübinger Stadtwerke zu verpachten, ihr kriegt ein Komplettpaket, die nehmen euch alles ab“. Wolf zeigte sich positiv überrascht, „das habe ich nicht gewusst“.

Anderes Thema: Fachkräftemangel, Vier-Tage-Woche, Überstundenvergütungen – „ich verstehe nicht, warum das so schwer sein soll, in Tübingen was Eigenes auf die Füße zu stellen“, sagte Peter Wolf. „Das geht nur mit einem demokratischen Diktator“, sagte Palmer augenzwinkernd. Aber in dem Bereich gebe es „starke Kräfte wie die Gewerkschaften auf der anderen Seite“. Insgesamt müssten „mehr Leute verstehen, dass es Probleme gibt“. Palmer selbst wisse darum, weil er mit vielen Unternehmern spreche.

Er persönlich würde die Rente mit 63 Jahren abschaffen, aber dafür den Anreiz setzen, dass alles, was danach verdient wird, steuerfrei sei. „Ich würde viel anders machen, wenn ich könnte.“ Er führte ein Beispiel an: Viele Firmen hätten Sorgen, weil sie Stellen nicht besetzen könnten. Gleichzeitig dürften oder wollten viele Flüchtlingen nicht arbeiten – oder sie würden in Jobs vermittelt, die nicht passen.

Ein syrischer Buchhalter habe Palmer auf dem Spielplatz angesprochen, der Syrer sollte eine Putzstelle annehmen. „Wieso kann man nicht einfach mal ausprobieren, ob der seinen gelernten Job gut macht“, so Palmer. Er habe den Syrer eine Stelle vermittelt, wo er Daten erfasst. Dort habe er sich bewährt, stehe nun davor, einen besseren Job zu kriegen. „Warum den Leuten nicht einfach mal eine Chance geben“, fragte Tübingens Rathauschef.

Er führte zwei weitere Beispiele an, die den Irrsinn der Bürokratie verdeutlichen sollten: Ein kleiner Vogel, ein Ziegenmelker, verhindere zurzeit den Erweiterungsbau der Uni-Klinik. „Kann man nicht einfach auf den Vogel pfeifen“, fragte Wolf. Nein, das sei EU-Recht, so Palmer. Der OB sei zu allen Zuständigen gelaufen, bis zu Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Der habe drei Ministerien eingeschaltet, nun werde ein Jahr lang beobachtet, ob der kleine Vogel noch vor Ort sei. Oder auch nicht.

Zweites Beispiel: Das Lustnauer Ohr, die Fotovoltaikanlage direkt an der B 27 – die sei acht Jahre geplant worden, acht Wochen habe die Installation gebraucht. „Mittlerweile reagiere ich nur noch mit Humor“, sagte Boris Palmer. „Wir leben im Komödienstadel – ich muss immer wieder sagen, seht euch das doch an, das geht so nicht.“

Peter Wolf resümierte nach dem Gespräch, dass dieses Frühstück ein guter Anfang gewesen sei. Und er lud Palmer gleich zum nächsten Meeting ein. Wieder um 6 Uhr 30. „Oder um 8 Uhr am Sonntagmorgen, vor der Kirche, da hätten wir auch Zeit“, kam ein amüsierter Zwischenruf eines Unternehmers.

Share.

Comments are closed.