Armutsaktionstag auf dem Reutlinger Marktplatz – AWO, Caritas, DRK, Parität und Diakonieverband machen auf steigende Armut aufmerksam
Die Zahlen sind erschreckend: „13 Millionen Menschen sind in Deutschland von Armut betroffen, jedes fünfte Kind unter 18 Jahren wächst in Armut auf“, betonte Carola Basolu von der Caritas am Dienstag auf dem Marktplatz beim Armutsaktionstag. Mit einem Stand am Rande des Marktes vor dem Reutlinger Spitalhof machten AWO, Caritas, Diakonieverband, DRK und der Paritätische auf die dringend notwendige Hilfe für die Menschen in Armut aufmerksam.
Als „völlig verzerrt“ empfinden die Liga-Vertreter das Bild, das die schwarz-rote Bundesregierung von Bürgergeldempfängern zeichnet, um ausgerechnet dort zu streichen, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird: „Bei den sogenannten Totalverweigerern handelt es sich nicht einmal um ein Prozent all derer, die auf Bürgergeld angewiesen sind – aber durch die Diskussion entsteht der Eindruck, dass alle Empfänger nicht arbeiten wollen“, sagte Isolde Rauscher vom Diakonieverband. „Die Stigmatisierung von allen Bürgergeldempfängern nimmt zu“, betonte auch Dr. Joachim Rückle als Geschäftsführer des Diakonieverbands.
Eine Statistik der Süddeutschen Zeitung unterstreicht die Äußerungen: Im Jahr 2024 lag das gesamte Sozialbudget des Bruttoinlandsprodukts bei 31,2 Prozent – für das Bürgergeld aber wurden gerade mal 1,4 Prozent ausgegeben. Dass in dem Bereich mehrstellige Milliardenbeträge eingespart werden könnten, stimme ganz einfach nicht.
Hinzu komme, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger aus der Mittelschicht von Armut betroffen seien – durch Krankheit oder Jobverlust. „Immer öfter kommt es vor, dass Familien trotz eines oder sogar von zwei Einkommen zusätzlich auf Bürgergeld oder auf Wohngeld angewiesen sind“, weiß Carola Basolu von der Caritas. Und Eva Danso von der AWO betont: „Jährliche Statistiken belegen, dass die Wohnungslosigkeit immer weiter ansteigt.“ Gründe dafür seien auch steigende Mieten und immer mehr Energiekosten.
Die Zahl der Menschen ohne Wohnung „mit komplexen Problemlagen nimmt ebenfalls zu“. Heißt: Die Betroffenen haben nicht allein die Wohnungslosigkeit am Hals, sondern manches Mal obendrein (psychische) Krankheiten, Arbeitslosigkeit, Überschuldung und anderes mehr.
Prävention sei zudem dringend notwendig, sagte Rauscher. „Viele Ratsuchende wissen gar nicht, wie das deutsche Hilfesystem funktioniert, was für Ansprüche sie haben.“ Prävention bedeute Arbeit und Aufklärung, „das kostet die Beratungsstellen Zeit und Geld“, so Rauscher. Geld, das gegenfinanziert werden müsse.
Ebenfalls problematisch sei, dass die Antragstellung beim Jobcenter immer komplexer werde. Auch hier schreite die Digitalisierung voran, „da stoßen unsere Klienten aber oft an ihre Grenzen“, betonte Karen Brudar vom Diakonieverband. Die Anträge würden immer bürokratischer und schwer verständlicher – selbst für Fachleute. Ein Projekt der Caritas will helfen: „Connect for all“ soll zumindest bei der Kontaktaufnahme mit dem Jobcenter unterstützen, wie Gerd Aigeltinger von der Caritas ausführte.
Das Fazit der Fachberaterinnen und Fachberater am Dienstag vor dem Spitalhof: „Alle Menschen können krank werden oder den Job verlieren, letztendlich sind die wenigsten vor Armut geschützt“, sagte Carola Basolu. Ihre Forderung: Besonders im Landkreis Reutlingen gebe es zu wenige Kinderbetreuungsplätze, die müssten dringend ausgebaut werden. Dem stimmte Isolde Rauscher zu: „Viele Frauen würden gerne wieder in den Beruf einsteigen, aber es gibt zu wenig Kitaplätze.“
Oftmals reiche aber auch das Wohngeld nicht aus – die Mieten seien einfach zu hoch. Suchende würden zumeist keine bezahlbare Wohnung finden, sie müssen in der bleiben, die sie haben. Und es gibt laut Heike Hein Menschen, die sich fragen, wo sie heute übernachten können.
„Ausgerechnet da, wo die Not am größten ist, soll gespart werden.“ Hinzu komme, dass die Betroffenen keine Stimme, keine Lobby haben. „Das ist eine wichtige Funktion, die wir als Organisationen einnehmen müssen“, betonte Hein.