„Wirtschaft trifft Kommune“ in der Reutlinger Kreissparkassen-Zentrale im Orschelpark – Wirtschaftsexperten befassen sich mit der Frage „Wer soll das bezahlen?“
Die Probleme in Deutschland und auch an der Achalm sind riesig. Darauf wies Alexander Wälde als Präsident der Handwerkskammer Reutlingen am Montagabend in der Kreissparkassen-Zentrale im Orschelpark. Rund 120 Gäste waren gekommen, um sich in dem Format „Wirtschaft trifft Kommune“ über die Frage zu informieren „Wer soll das bezahlen?“.
(Foto: Präsident der Handwerkskammer Reutlingen, Alexander Wälde.)
Keine provokative Frage, wie alle Redner dieses Abends befanden. Bis auf Wälde, den Friseurmeister aus Freudenstadt, der betonte: „Der Handwerkshimmel ist nicht so grau.“ Er präsentierte Zahlen, die das belegen – die Auslastung bei fast 60 Prozent der Handwerksbetriebe liege bei 80 Prozent. Rund 30 Prozent würden gar mit einem Umsatzzuwachs rechnen. „Aber wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“, forderte der Präsident der Handwerkskammer Reutlingen.
Oberbürgermeister Thomas Keck verwies auf die desaströse Situation der Kommunen: „Nur rund 20 Prozent der Städte und Gemeinden können einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen.“ Für Investitionen sei kaum Geld vorhanden, „die laufenden Kosten bringen uns um“, so der Reutlinger Rathauschef. Hinzu kommen Stellenstreichungen bei Wirtschaftsunternehmen wie Stoll, Manz, Cellforce und Bosch.
„Wir brauchen eine Industriepolitik, die Kommunen nicht allein lässt“, so Kecks Schlussfolgerung. „Wir müssen alle gemeinsam handeln – Politik, Wirtschaft und Bürgerschaft.“ Die Aufgaben der Kommunen würden wachsen, „doch die Spielräume bleiben eng“.
Reutlingens IHK-Präsident Johannes Schwörer hob in seiner Rede hervor, dass es bundesweit in den vergangenen Monaten durchaus Arbeitsplatz-Zuwächse gab, in der Pflege (+73.000), im Gesundheitswesen (+63.000) und in den Verwaltungen (+44.000). Im verarbeitenden Gewerbe seien hingegen 154.000 Arbeitsplätze weggefallen, in der Elektro- und Metallindustrie 116.000. Der Begriff der „Deindustrialisierung“ gehe um, auch wenn „Reutlingen noch ein starker Wirtschaftsstandort ist“, so Schwörer.
Der IHK-Präsident sah schlechte Verkehrsanbindungen „klaren Wettbewerbsnachteil“. Gleichzeitig forderte er mehr Vertrauen in die Arbeit von „Verwaltungen, sie wissen selbst genau, was zu tun ist“. Allerdings müsse sie „bürger- und wirtschaftsfreundlicher werden“.
Drei Volkswirtschaftler begaben sich anschließend aufs Podium, um die wirtschaftliche Situation zu analysieren und nach Lösungen zu suchen. Peter Haas moderierte als Hauptgeschäftsführer von Handwerk BW brillant und begann provozierend – von dem Sondervermögen des Bundes seien 8,7 Milliarden Euro für die Kommunen vorgesehen. Auf zwölf Jahre hin betrachtet, bleibe nicht viel übrig für einzelne Städte und Gemeinden.
Werden gerade also Finanzlöcher nur mit Finanzlöchern gestopft? „Ja, das ist so“, sagte Eike Möller vom Bund der Steuerzahler Baden-Württemberg. Die Kommunen seien dabei „das schwächste Glied in der Kette, sie müssten besser ausgestattet werden“. Das Bruttoinlandsprodukt ist nach den Worten von Dr. Jens-Oliver Niklasch (Kapitalmarktexperte der LBBW) seit 2019 nicht mehr gewachsen. „Diese Situation ist nur durch Investitionen zu ändern.“
(Foto: Eike Möller (von links), Moderator Peter Haas und Jens-Oliver Niklasch bewerteten die momentane wirtschaftliche und finanzielle Situation im Land.)
In Bezug auf die Infrastruktur sei die vergangenen 30 Jahre viel verschlafen worden: Jedes Jahr wären 40 Milliarden Euro an Investitionen notwendig gewesen. „Wir müssen den Rückstand aufholen.“ Auf der anderen Seite müsse gespart werden. „Wir brauchen Wachstum um des sozialen Friedens willen“, so Niklasch.
Möller forderte Reformwillen, „wir müssen bereit sein, Einschnitte hinzunehmen“. Beim Posten des Sozialen „muss dringend Druck aus dem Kessel“, so Möller. Länger arbeiten, einen Feiertag weniger, Personalkosten in den Verwaltungen reduzieren – es gebe durchaus Möglichkeiten. Ein Unternehmer aus dem Publikum forderte: „Wir müssen endlich aufhören zu jammern und immer auf die Politik zu warten.“ Die Unternehmer selber müssen investieren. Viel Beifall brandete auf.
OB Keck verwies auf eine Studie der Bertelsmann-Stiftung: „Dort wird eine Staatsreform gefordert.“ Peter Haas sagte: „Roman Herzog wird gerade oft zitiert, dass wieder ein Ruck durch die Gesellschaft gehen muss – dabei guckt aber jeder nur auf seinen Nachbarn.“ Niklasch resümierte: „Wir jammern auf hohem Niveau, es gibt immer noch viel Kraft und Energie im Land.“