Polit-Talk der Stiftung „Lebenswerte Nachbarschaft“ mit ehemaligen Bundestagsabgeordneten

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Beate Müller-Gemmeke und Martin Rosemann waren 16 und elf Jahre im Bundestag und am Mittwochabend zu Gast beim Polit-Talk der Stiftung „Lebenswerte Nachbarschaft“

Es war warm in der Reutlinger Kreuzkirche am vergangenen Mittwochabend, 2. Juli. Zu warm für einen Kulturabend der Stiftung „Lebenswerte Nachbarschaft“? Rund 25 Interessierte waren gekommen, um mehr über die Erfahrungen und Erlebnisse von zwei Politprofis aus 16 und elf Jahren im Bundestag zu hören. Beate Müller-Gemmeke (64 Jahre, Grünen-MdB für den Kreis Reutlingen) und Martin Rosemann (48 Jahre, SPD-MdB, Kreis Tübingen) antworteten dabei in lockerer Atmosphäre den Fragen der Moderatoren Otto Haug und Gernot Bohnenberger.

(Foto: Profmusiker Johann „Hans“ Neu unterhielt am Mittwochabend musikalisch mit Stücken von Benny Goodman und Fats Waller.)

Beide Politiker haben nach reiflicher Überlegung nicht mehr für den neuen Bundestag kandidiert. Beide hatten sich zuvor in un“d für die Sozialpolitik engagiert. Die erste Frage in einer launigen Fragerunde galt aber den Lieblingsessen der beiden Politiker. Rote Grütze bei Rosemann und grüner Salat bei Müller-Gemmeke? „Eher Rote Wurst und das am liebsten beim Grillen mit Freunden“, brachte der SPD-Politiker auch gleich eines seiner Hobbys mit ein. Und überhaupt: Grün ohne Rot (im Salat) sei ja kaum denkbar, witzelte der Sozialdemokrat. Generell hatten beide Politprofis für Hobbys in den vergangenen 16 und elf Jahren aber keine Zeit.

Die gelernte Erzieherin und studierte Sozialpädagogin dazu: In den Sitzungswochen in Berlin seien 80 Stunden Arbeit und mehr völlig normal. Und selbst, wenn die Politiker zuhause im Landkreis sind – privat sei man auch dort kaum. Einkaufen auf dem Wochenmarkt? Rosemanns Frau sage öfter, dass er ja seine Bürgersprechstunde zwischen den Marktständen oder Regalen fortsetze. „Die Zeit für vieles fehlt, die Familie leidet darunter“, sagte auch die Pliezhausenerin. Der studierte Volkswirt stimmte zu: Gerade bei zwei Kindern sei das für die Frau alles andere als einfach.

(Foto: – von links – Martin Rosemann und Beate Müller-Gemmeke und Bein von Gernot Bohnenberger.)

Quasi jede zweite Woche seien sie sonntagabends nach Berlin geflogen und dort vom parlamentarischen Alltagsgeschäft aufgesogen worden. Während der Wochen in heimischen Gefilden sei es nicht weniger fordernd gewesen, mit Bürgersprechstunden, Terminen bei Vereinen, Firmen, Bürgermeistern, bei Festen, Veranstaltungen und mehr. Aber: „Ich würde das nochmal so machen, es war 16 Jahre eine wunderbare, großartige Arbeit“, sagte Müller-Gemmeke. „Im Bundestag arbeiten zu dürfen, ist eine der größten Ehren, die es gibt“, stimmte Rosemann zu. „Man lernt unheimlich viele Leute kennen, in den unterschiedlichsten Lebenssituationen – das hat mein Leben sehr bereichert“, so der SPD-Politiker.

Wie sehe es mit den persönlichen Stärken der beiden Berufspolitiker aus (die sie nun nicht mehr sind)? „Ich verliere mein Ziel nicht aus dem Blick, bin ausdauernd und empathisch“, sagte Beate Müller-Gemmeke. Martin Rosemann betonte: „Ich gehe politische Dinge immer sehr grundsätzlich an, ich bin nicht oberflächlich.“

Ist aber Politik ein „Haifischbecken“, wollte Gernot Bohnenberger wissen. „Ja“, sagte die Grünen-Politikerin. „Es gibt Intrigen, aber ich habe da von Anfang an nicht mitgemacht, ich wollte nie höhere Ämter anstreben.“ Was man im Politikbetrieb brauche „ist eine klare Haltung, ein Thema, für das man brennt“, so die Politikerin. Habe jetzt beim Regierungswechsel die SPD einige eigene Politiker gnadenlos über die Klinge springen lassen, fragte Haug.

Martin Rosemann sagte, dass es im Bundestag auch um Macht gehe, „aber man verliert Vertrauen, wenn man als Partei das große Ganze aus dem Blick verliert“. Er stimmte zu, dass es „ein großer Fehler war“, SPD-Größen wie Hubertus Heil keinerlei Führungsposition mehr zu gewähren. „Machen Politiker im Bundestag nur das, was Lobbyisten ihnen unterschieben“, provozierte Otto Haug. Lobbyismus sei grundsätzlich nichts Schlechtes betonten beide Politprofis.

(Foto: Moderator Otto Haug stellte gerne auch mal provozierende Fragen.)

Von den Gewerkschaften über Diakonie, Caritas bis zu den Wirtschaftsverbänden sei da ja alles vertreten. „Natürlich versuchen Lobbyverbände, Politik zu machen“, sagte Rosemann. Aufgabe der Politiker sei, die unterschiedlichen Sichtweisen „sortieren zu können und unsere Schlussfolgerungen zu ziehen“. Aber: Politiker könnten auch nicht „in allen Themen völlig drin sein“, sagte Müller-Gemmeke. „Was gar nicht geht, wenn Politiker zum Sprachrohr eines Interessenverbands werden“, sagte der SPD’ler.

Werde die deutsche Politik heute nur noch von außen, von Trump, Putin und Netanjahu getrieben, fragte Haug. „Politik hat schon immer auf das Weltgeschehen reagieren müssen“, sagte die Grünen-Politikerin. Balkankrise, Flüchtlinge, Corona und Krieg in der Ukraine – Katastrophen hätten 16 Jahre lang ihre Polittätigkeit begleitet, immer mussten Antworten darauf gefunden werden.

Anderes Thema, Politikverdrossenheit: „Ist die Demokratie ein Auslaufmodell“, fragte Bohnenberger. „Demokratie ist für mich die Lösung der Probleme, anders geht’s nicht“, so Müller-Gemmeke. „Seit 1949 hat sich mit der Demokratie das beste Deutschland entwickelt, das es je gab“, sagte Rosemann.

Gefragt seien in einer Demokratie im Übrigen alle Bürgerinnen und Bürger – genauso wie die Medien, als vermeintlich vierte Gewalt im Staat. „Aber die Medien müssen ihre Verantwortung auch übernehmen“, forderte Rosemann. In einer Demokratie müsse jede und jeder sich einbringen – so wie es bei der Plattform „Lebenswert“ an der Kreuzkirche gelebt werde. „Lebenswert ist eine Blaupause für andere Städte und Quartiere“, sagte die Grüne. „Man muss noch viel stärker in die Lebensräume der Menschen gehen und den Sozialstaat dort erlebbar machen“, forderte Martin Rosemann. So wie es rund um die Kreuzkirche und im Ringelbach mit „Lebenswert“ und dem Projekt „Hallo, Nachbarn“ praktiziert werde.

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