Kunstaktion auf dem Reutlinger Marktplatz von Bündnis für Menschenrechte, Cariatas, Diakonieverband, Kunstmuseum, Asyldiakonin und AK Flucht und Asyl
„Mein Name ist: Mensch.“ Nicht umsonst hieß die Kunstaktion auf dem Reutlinger Marktplatz am vergangenen Freitag, 20. Juni 2025, zum Tag des Flüchtlings genau so. Im Mittelpunkt stand nämlich – der Mensch, also der und die Geflüchtete. „In Zeiten, in denen rechtsextreme und rechtspopulistische Gruppierungen so viel, zu viel, Gehör und Wählerstimmen kriegen, sind solche Aktionen umso wichtiger“, betonte Christian Lawan als Sprecher vom „Bündnis für Menschenrechte“ an diesem heißen Nachmittag zwischen Reutlinger Rathaus und Spitalhof.
In Zeiten, in denen kaum mehr anderes zu hören sei als „Abschiebung, Grenzen dicht machen und Überforderung der Kommunen durch Flüchtlinge“ müsse an die Menschlichkeit erinnert werden. Denn: Hinter jedem einzelnen Flüchtling stehe ein Schicksal, eine Person, eben – ein Mensch, betonte Sigrid Kulik von der Caritas. „In Zeiten, in denen Flüchtlinge nur noch als Problem wahrgenommen werden, gilt es, den Blick auf die einzelnen Personen zu richten“, so Kulik.
Ein Beispiel aus der Kunstaktion – ein Kurde, der in Diyarbakir geboren wurde, heute 31 Jahre alt ist. Mit 18 Jahren musste er zum türkischen Militär. Dort wurde er gedemütigt, nach dem Militärdienst ohne konkrete Angabe von Gründen verhaftet. „Ich erlebte körperliche Gewalt und Angst, die mich bis heute nicht loslässt“, war auf einem Blatt Papier am vergangenen Freitag auf dem Reutlinger Marktplatz am Tag des Flüchtlings nachzulesen.
Zu der Geschichte des Kurden (und einiger anderer Geflüchteter) waren Kunstwerke ausgestellt. Für den 31-Jährigen stand eine lebensgroße Drahtfigur, die in den vergangenen Monaten im Kunstmuseum entstanden ist. Einige weitere Figuren waren auf dem Marktplatz zu bestaunen, wie auch die eines 20jährigen jungen Mannes, der aus Afghanistan geflüchtet war. Zu Fuß kam die Familie in die Türkei, den Vater hatte der Junge auf der Flucht verloren. Und zudem viel Gewalt erlebt.
Als Achtjähriger arbeitete er wie seine Mutter in der Türkei in einer Näherei, bevor die Restfamilie mit einem Boot nach Griechenland kam. Von dort aus ging es zu Fuß weiter nach Deutschland. „Die Gewalt, die ich überall auf der Flucht erlebt habe, hat mich traumatisiert“, berichtet der Afghane heute. Aber: Der 20-Jährige lebt nun zusammen mit seiner Familie in Gomadingen, er hat den Hauptschulabschluss ebenso geschafft wie eine Ausbildung. „Wenn ich auch noch meine Einbürgerung bekomme, bin ich ganz happy“, schreibt er.
„Solche Schicksale gibt es viele“, sagte Sigrid Kulik. Im Reutlinger AK Flucht und Asyl wurde zu Beginn des Jahres die Idee für die Kunstaktion geboren. Die Kunstwerke hat zum Teil Wafaa Salwan in Acryl und Sperrholz gefertigt. Die 56-Jährige war selbst aus Syrien geflüchtet, ihren Mann hatte sie auf der Flucht auf der griechischen Insel Kos verloren. Heute arbeitet Salwan in Reutlingen als Integrationsfachkraft in einem Kindergarten, einer ihrer eigenen vier Kinder als IT-Fachmann in den Kreiskliniken.
Die Lebensgeschichten von einigen Geflüchteten waren auf dem Marktplatz nicht nur nachzulesen, sondern auch über einen QR-Code mit dem Smartphone akustisch abrufbar. „Der Aufwand für die gesamte Aktion war groß“, sagte Kulik. Als Beiwerk wurden zudem kunstvoll gestaltete Stühle von Ferda Reutlingen präsentiert.
Die Figuren sind zusammen mit Geflüchteten, aber auch Ehrenamtlichen sowie der „Flüchtlinge am Werk“ entstanden, die Drahtfiguren in Kooperation mit dem Reutlinger Kunstmuseum. Eindrucksvoll präsentiert wurde so auch ein Abbild des Syrers Aehan Ahmad. Er wurde berühmt als „der Pianist aus den Trümmern“ – der zwar wie die anderen abgebildeten Personen aus seinem Heimatland geflohen ist – nun jedoch als Einziger nicht in Reutlingen wohnt.
Aber: Im September sei er an der Achalm, lese und spiele in der VHS im Rahmen der Interkulturellen Woche. Über sein Leben hat er zudem ein Buch geschrieben, das unter dem Titel „Und die Vögel werden singen“ erschienen ist. Sigrid Kulik hatte ihre Erläuterungen am Freitag auf dem Marktplatz mit einem Zitat von Margot Friedländer beendet: „Wir sind alle gleich, es gibt kein christliches, muslimisches oder jüdisches Blut – seid einfach Mensch.“ Die Kunstaktion wird im Übrigen am 18. September 2025 zum Start der Interkulturellen Woche erneut zu sehen sein.