(Foto oben: Hochkonzentriert überlegen die Aktiven im AK Flucht und Asyl, wie sie Flüchtlingen und der Menschlichkeit wieder mehr Gehör verschaffen können, (von links) Gerd Krauß, Hans-Peter Häußermann, Christoph Zügel, Lena Moeller und Traugott Huppenbauer.)
Auswirkungen des Bundestagswahlkampfs auf die Gesellschaft, Geflüchtete und ehrenamtliche Unterstützer in Reutlingen
Die Stimmung in der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Monaten weiter verschlechtert, da sind sich die Aktiven aus dem Leitungskreis des AK Flucht und Asyl einig. Sie registrieren einen weiteren deutlichen Rechtsruck und ganz viel Populismus in der Gesellschaft. „Was einstmals als unsagbar galt, ist mittlerweile gängiger Sprachgebrauch“, sagt Reutlingens Asylpfarrerin Lena Moeller.
Gerade vor der Bundestagswahl sei „Migration“ das Hauptthema schlechthin gewesen – allerdings vor allem in der Hinsicht, dass die Grenzen dichtgemacht werden sollten. Warum die Geflüchteten ihre Heimat verlassen, dass sie vor Krieg, Terror, Not und Armut fliehen – all das spiele mittlerweile gar keine Rolle mehr. Genauso wenig wie die Unterscheidung zwischen Migration und Geflüchteten – auch in den Medien werde nur noch über „illegale Migration“ berichtet. „Das Thema wird entmenschlicht“, sagt Moeller.
„Im Moment kriegt der Landkreis Reutlingen Zuweisungen von unter zehn Flüchtlingen pro Monat“, betont Christoph Zügel. „Die Politik der Abschottung der neuen Bundesregierung wirkt schon, bevor CDU/CSU und SPD überhaupt ihre Arbeit aufgenommen haben“, so Zügel eher sarkastisch. Dass die Stimmung gegenüber Flüchtlingen sich noch weiter drastisch verschlechtert hat, sei auch an der sogenannten Bezahlkarte abzulesen. „Das ist reine Symbolpolitik“, sagt Zügel.
Gerd Krauß stimmt zu, zumal „die Karte einen Riesen-Verwaltungsaufwand mit sich bringt“. Und Hans-Peter Häußermann ergänzt: „Es gibt überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dass Menschen vorgeschrieben wird, wofür sie ihr Geld ausgeben.“ Und die Geflüchteten selbst? Wie haben sie die Diskussion vor der Bundestagswahl über Abschiebung wahrgenommen? „Da gibt es viel Sorge und Unruhe unter Syrern und Afghanen“, sagt Moeller.
Selbst Geflüchtete, die seit sieben oder zehn Jahren hier leben, arbeiten, womöglich schon den deutschen Pass haben, hätten Angst. Zudem bereite einigen der ausgesetzte Familiennachzug große Sorgen. Das verursache viel Stress bei den Geflüchteten. „Wer sich nach dem Sturz Assads überlegt, nach Syrien zurückzugehen, traut sich gar nicht, dorthin zu fliegen und sich die Situation vor Ort anzusehen“, sagt Traugott Huppenbauer.
Warum? „Es könnte sein, dass ihnen die Rückkehr nach Deutschland, zurück zu ihrer Familie, verweigert würde.“ Die Folge sei, dass sie die Reise dann doch lieber bleibenlassen. „Das konterkariert das Vorhaben der CDU/CSU, Menschen in möglichst großer Zahl abzuschieben.“
Häußermann hat in Gönningen momentan viel mit kurdischen Flüchtlingen zu tun, „die haben kaum Chancen auf Asyl, die Angst ist groß bei ihnen, abgeschoben zu werden“. Und Ukrainer? „Sie sind alle aufgeregt, weil sie nicht wissen, was nach März 2026 sein wird“, so Häußermann. Im kommenden Jahr läuft im März das „Massenzustromgesetz“ aus, ein EU-Recht, das seit Kriegsbeginn immer verlängert worden sei.
Doch der Rückhalt dafür schwinde. Eine Zweiklassen-Behandlung von Ukrainerinnen und Ukrainern drohe, die einen müssten womöglich Asyl beantragen und würden kein Bürgergeld mehr kriegen. Hinzu komme die Möglichkeit, dass „ganz schnell Massen an Ukrainern vor unserer Tür stehen könnten“, so Zügel. Je nachdem, wie sich Krieg oder (ein womöglich von Russland diktierter) Frieden in dem Land weiterentwickeln.
Ein Fazit? Es sei schlimm, den Rechtsdrall auch und vor allem in der Politik zu registrieren, sagt Gerd Krauß. „Da, wo Vertrauen und Zuversicht gesät werden müsste, werden Ängste geschürt.“ Lena Moeller stimmt zu: „Der Diskurs wird immer schwieriger, weil rechte Positionen in der politischen Mitte angekommen sind.“
Die Ehrenamtlichen aus der Flüchtlingshilfe fühlen sich angesichts dieser Situation immer mehr an den Rand gedrängt und auch überlastet, sagt Krauß. Aber der Leitungskreis des AK Flucht und Asyl hält dagegen, sucht das Gespräch: Die Aktiven waren bei der Reutlinger CDU-Fraktion, Christoph Zügel im Liga-Ausschuss. Zudem bereiten sie Gespräche vor, mit Reutlingens Sozialamtsleiter Joachim Haas etwa und mit Landrat Ulrich Fiedler. Zu erkennen ist deutlich: Die Aktiven im Leitungskreis lassen nicht nach, um der Stimme der Menschlichkeit auch weiter Gehör zu verschaffen.