Der Kopf der Reutlinger Drei Musketiere spricht über Ende des „Sozialwarenhauses“ in der Paketpost, die Ukraine-Hilfe und den neuen „welt:raum“ an den Echazterrassen
Das Engagement der Drei Musketiere und der rund zehn Freiwilligen auf dem Gelände des Paketpostareals endet spätestens im Sommer 2025. Das erläuterte Markus Brandstetter, der mit den Drei Musketieren die Sammlung von Hilfsgütern für die Ukraine mit angestoßen hatte. „Es waren aber noch einige verschiedene private Initiativen dabei“, erläutert er im Gespräch mit unserer Zeitung. Alle zusammen hätten sich an die Stadt gewandt, die Feuerwehr kam hinzu, die erste Sammelaktion war in den Innoporthallen.
Unter der Federführung der Reutlinger Feuerwehr – und hier sei besonders Dieter Notter hervorzuheben – wurden samstägliche Sammlungen eingeführt. Die laufen mittlerweile seit drei Jahren, „die Musketiere waren dabei, um die Transporte zu organisieren“. Nach ein paar Monaten waren so manche Initiativen abgesprungen und die Spendenbereitschaft ging zurück. Aber: „Was sich dort entwickelt hat, war eine Art Sozialkaufhaus“, so Brandstetter. Kleidung, Haushaltsartikel, sogar Möbel hat Notter mit Helfern abgeholt und zum Teil direkt bei Bedürftigen abgeliefert. Oder in der Paketpost gelagert.
Sozialwarenhaus ist entstanden
„Da hat sich ein Team aus aller Herren Länder gebildet, die den Samstag organisiert haben.“ Die Waren seien wie in einem Kaufhaus aufgebaut worden, Menschen kamen, um Sachen abzugeben oder um Sachen abzuholen. „Jeden Samstag waren an die 250 Leute dort vor Ort“, sagt Markus Brandstetter. Die Musketiere waren mittendrin – mit der Ukraine-Hilfe hatte das aber nichts mehr zu tun.
Denn: „Was wir in der Ukraine machen, geht weit über die Anlieferung von Lebensmitteln hinaus.“ Zwar fahren die Musketiere mit 40-Tonnern und einem Fassungsvermögen von 30 Paletten weit in die Ukraine hinein. Bis fast direkt an die Front. „Wir verteilen Wasseraufbereitungsanlagen, Trinkwasser, Brennholz, Generatoren, Heizsysteme und ähnliche Dinge.“
Am 5. Mai wird Markus Brandstetter zusammen mit zwei weiteren Personen wieder aufbrechen. Dann werden zwei Container in Frontnähe in die Region Kupiansk geliefert, „die Container werden als Arztpraxis eingerichtet, die medizinische Versorgung an der Front ist katastrophal“, weiß der Reutlinger. Außerdem unterstützen die Musketiere 100 Waisenkinder, die in 27 Pflegefamilien untergebracht wurden. „Den Familien haben wir im vergangenen Winter 100 mobile Heizsysteme gebracht.“
Um all das zu koordinieren, steht Brandstetter in engem Kontakt mit den Behörden und Bürgermeistern in der Ukraine. „Wir kriegen den jeweiligen Bedarf mitgeteilt.“ In der Gegend um Cherson gebe es bis heute kein sauberes Trinkwasser. In den Frontgebieten leben noch viele alte Menschen, die nicht wegkönnen, nicht wegwollen. „Viele fragen sich, wo sie hinsollten.“
„Friedensgespräche“ zwischen Trump und Putin?
Wie die Ukrainer die sogenannten „Friedensgespräche“ zwischen den USA und Russland sehen? „Die meisten sind furchtbar enttäuscht, sie fühlen sich verraten vom Westen, besonders von den USA“, sagt Brandstetter. „Das versteht niemand, schließlich haben sie am meisten unter dem Krieg gelitten und Putin als Aggressor soll jetzt auch noch belohnt werden.“
Wenn die Ukraine wirklich riesige Gebiete an Russland sollte, „dann fragen sich viele, wofür sie überhaupt gekämpft, warum sie so viele Angehörige verloren haben“. Die Sorge, dass es dann zu inneren Unruhen im Land kommen könnte, seien groß. Markus Brandstetters eigene Meinung zu den „Friedensgesprächen“? „Ich schäme mich zutiefst, dass das Land und die Menschen zwischen zwei Weltmächten verhökert werden soll, das erinnert mich an die Zeit als Polen zwischen Deutschland und der Sowjetunion ebenso verhökert wurde.
Bewunderung für die Menschen, die ständig vor Ort sind
Natürlich sei die Hilfe der Musketiere nicht ohne Gefahr. Drohnen, Minenfelder, Raketenangriffe – alles sei möglich. Und Brandstetter hat Folterkeller und Foltergaragen gesehen, Geschichten von vergewaltigten Frauen, von entführten Kindern gehört. „Ich bewundere die Menschen sehr, die dort ständig vor Ort sind.“ Trotz all des Leids „begegnet uns dort ganz viel Liebe, Hoffnung und auch Mut“.
Wie etwa bei der Ärztin Anja, die seit drei Jahren in Frontnähe verletzte Soldaten aus Kampfgebieten holt, sie an „Stabilisierungspunkten“ bestmöglich versorgt. „Die Frau ist Offizierin hat zwei Kinder, sieht sie monatelang nicht und hilft trotzdem ständig in Frontnähe“, sagt Brandstetter bewundernd. Was treibt solche Menschen an? Doch auch der Reutlinger ist so jemand, den es immer wieder in Kriegsgebiete zieht. „Ich würde gerne nach Syrien, in den Südlibanon oder auch nach Gaza gehen und dort helfen, sofort.“
Warum? „Dorthin gehen, wo andere weggucken“ – das sieht er als seine Aufgabe an. Ja, Angst habe er auch hin und wieder. Aber das hält den 57-Jährigen nicht ab. Im Gegenteil. Er wolle keinen Dank, aber „für die Menschen in den Kriegsgebieten ist es ein ganz wichtiges Zeichen der Solidarität, wenn wir kommen, wenn sie sehen, dass sie nicht vergessen sind.“
Eigenbedarf der Stadt bei der Paketpost
Doch zurück ins beschauliche Reutlingen: Auch dort sind die Musketiere aktiv. Sie engagieren sich, um Menschen zusammenzubringen. Wie bei der Paketpost-Hilfe. „Die Stadt hat für die Paketpost Eigenbedarf angemeldet, im Sommer müssen wir raus“, sagt Brandstetter. Die Feuerwehr hat angekündigt, dass sie die Unterstützung auch nicht weiter leisten könne. „Wenn wir ähnliche Flächen finden würden, würden die Ehrenamtlichen mit dem Warenhaus weitermachen.“
Was sicher kommen wird, ist der „welt:raum“. Nach dem Standort am Weibermarkt hat die Stadt den Musketieren eine der Hütten an den Echazterrassen zur Verfügung gestellt. „Auch dort wird es umsonst Tee, Kaffee und Wasser geben.“ Dazu natürlich Getränke. Und auch Veranstaltungen. Konzerte. Begegnungsmöglichkeiten. „Wir wollen Menschen aus allen Kulturen zusammenbringen“, betont Markus Brandstetter. Am 30. April ab 18 Uhr öffnet der „welt:raum“, zunächst bis 5. Oktober. „Dann sehen wir weiter“, sagt der Kopf der Drei Musketiere.
Spenden:
Wer die Drei Musketiere unterstützen will, kann das über die Kreissparkasse Reutlingen auf das Konto mit der IBAN-Nr. DE97 6405 0000 0100 1027 43 tun.