Wissen muss weiterbestehen – Stadtführung zu Nazi-Gräueltaten und zum Kriegsende in Pfullingen

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Themenstädtische Führung von Waltraud Pustal vom Geschichtsverein Pfullingen zum Kriegsende und zu nationalsozialistisch-bedeutenden Orten in der Stadt

„Wir wollen und müssen das Wissen über die damalige Zeit erhalten, damit es nie wieder so weit kommt“, sagte Waltraud Pustal nach der besonderen Stadtführung am Dienstagabend am Pfullinger Marktbrunnen. Zuvor hatte die Vorsitzende des Geschichtsvereins eine unglaubliche Menge an Interessierten von mehr als 80 Personen durch die Innenstadt geleitet, hin zu Orten, die in der Zeit des Nationalsozialismus von Bedeutung waren.

Wie etwa der heutigen Uhlandschule, der damaligen Mädchenschule, die in den letzten Kriegsjahren als Lazarett genutzt wurde. „Die Familie um Hausmeister Etter waren Nazigegner“, berichtete Pustal beim Rundgang durch die Stadt. „Die kleine Widerstandsgruppe hatte großes Glück gehabt.“ Denn: Die Wahrscheinlichkeit des Verrats und der anschließenden Ermordung sei groß gewesen. Stattdessen wurden nach Kriegsende im Lazarett zahlreichen 14- bis 18jährigen „Werwölfen“ (aus der Hitler-Jugend) gefälschte Entlassungspapiere ausgestellt – bis die Franzosen dahinterkamen.

Unter dem Kindergarten in der Schulstraße befand sich einer von einigen Luftschutzbunkern. Die Pfullinger Bevölkerung hatte laut Pustal im Jahr 1944 insgesamt 406mal Fliegeralarm erlebt. Verdunklung aller Fenster war Pflicht, die Menschen in der Stadt lebten in ständiger Angst. Aber es gab auch ganz viel Mut. Von den Pfullinger Frauen etwa, wie Sophie Schlegel eine war – sie war im weißen Kleid den französischen Panzern entgegengeschritten.

Darüber berichtete Waltraud Pustal am Dienstagabend auf dem heutigen Marktplatz zwischen Rathäusern und Kirche am Brunnen. 1945 fuhr dort noch die Straßenbahn entlang, einen Marktplatz gab es nicht, die Straße hieß Planie. Die heutige Marktstraße hieß damals Hindenburgstraße, die Wilhelm-Blos-Straße war die Hermann-Göring-Straße. Pustal verwies auf die Stele vor dem Rathaus I, die erst 2022 dort platziert wurde und an die mutigen Pfullinger Frauen erinnert, die unter Lebensgefahr die Panzersperren entfernt hatten. „Das Öffnen der Sperren und das Zeigen von weißen Fahnen wurde mit dem Tod bestraft“, so die Geschichtsvereins-Vorsitzende. „Das Land sollte auf Teufel komm raus verteidigt werden“, betonte Pustal.

Wer dem nicht folgte, wurde ermordet. „Bis zum 22. April, dem Einmarsch der Franzosen und dem Kriegsende in Pfullingen, gab es immer wieder Erschießungen.“ Als die Panzer aber auf dem Marktplatz vorfuhren, „war Schluss mit der Nazi-Herrschaft in Pfullingen“.

Was damals noch von Bedeutung war vor der Marienkirche? Die Kirchenglocken gab es nicht mehr, sie waren schon in den frühen 1940er Jahren eingezogen und eingeschmolzen worden – sie wurden zu Waffen. Genauso wie das Glöckchen auf dem Rathaus.

Weitere Zeugnisse des damaligen Terror-Regimes finden sich heute auf dem Friedhof. Dort erinnern Gedenksteine an mehr als 600 Opfer von Krieg und Gewalt. Zwischen den beiden Denkmalen für den 1. und 2. Weltkrieg wurde zudem ein Gräberfeld für die Getöteten angelegt. Am Lindenplatz (der damals Adolf-Hitler-Platz hieß) wies Waltraud Pustal auf die einstige Brauerei und den Saalbau Kleinbeck – dort wurden immer wieder Versammlungen der NSDAP abgehalten.

Am Dienstag führte der Weg weiter zur Schlossbrücke – auf diesem Areal fanden sich einstmals zahlreiche Industrieunternehmen. Wie etwa die Schuhfabrik Schlayer oder die Firma Klemm Leder und Triebriemen sowie einige andere Unternehmen. Zwangsarbeiter, die aus den unterschiedlichsten Ländern (wie der UdSSR, Frankreich, Polen und vielen anderen) verschleppt worden waren, mussten dort arbeiten.

Nach dem Krieg wurden sie zwar befreit, aber viele konnten nicht zurück in ihre Heimat. Wie diejenigen aus den baltischen Ländern etwa. Für diese „Heimatlosen“ („displaced persons“) gab es nach dem Krieg in Pfullingen ein Lager, in dem sie bis 1955 lebten.

Sophie Schlegel hatte damals in der Klemmstraße 2 eine Wäscherei und Badeanstalt. Ihre psychisch kranke Tochter aus erster Ehe wurde 1940 abgeholt und in Grafeneck ermordet. Frieda Schwille, die Leiterin der damaligen Milchsammelstelle, war am 21. Juni 1944 von der Gestapo verhaftet und am 30. November desselben Jahres im KZ Dachau ermordet worden. Zum Opfer fiel sie dem Doppelagenten Eugen Nesper – der hatte sie verraten und als aktives Mitglied in einer biblischen Gemeinschaft denunziert. Was für schreckliche, grausame und wahnsinnige Zeiten. An die aber erinnert werden muss. Damit sie nie wiederkehren, wie Pustal betont hatte.

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