„Anker in der Krise“ – Ehrenamtliche beim Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst

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Ambulanter Kinder- und Jugendhospizdienst wird 15 Jahre alt – Songül Ucan berichtet als Ehrenamtliche über ihre Arbeit

Sie werde oft gefragt, warum sie sich als junge Frau im Ambulanten Hospizdienst engagiert, berichtet Songül Ucan beim Gespräch mit unserer Zeitung. Sie ist 32 Jahre alt, hat mit 29 den Vorbereitungskurs beim Hospizdienst absolviert und antworte auf die Frage nach dem Engagement: „Sterben und Tod hat mit jedem Alter zu tun und mein persönliches Leben wird durch das Engagement noch bewusster.“

Wie die Menschen auf diese Antwort reagieren? „Meist wissen sie nicht, was sie sagen sollen“, berichtet die Sonderschullehrerin. Für ihre alltägliche Arbeit in der Oberlinschule mit nicht ganz einfachen Kindern nehme sie durch das Engagement beim Hospizdienst viel mit, betont Ucan. Nach dem Ausbildungskurs beim Hospizdienst hatte sie sich zunächst im „Samstagstreff“ eingebracht. Dort kommen Kinder im Alter zwischen 6 und 13 Jahren zusammen, die eine schwer erkrankte Angehörige, Mutter, Vater, Oma, Opa oder auch ein schwer erkranktes Geschwisterkind (verloren) haben.

Bei dem Treffen werde gespielt, gemalt, gebastelt, getobt – ganz nach Lust und Laune ist aber auch Raum für Gespräche da – wenn die Kinder die Trauer überfällt. „Dort sind alle in der gleichen Situation, die Kinder müssen ihre Gefühle nicht verstecken“, sagt Rita Leonhard, die zusammen mit Dietmar Stooß den Ambulanten Kinder- und Jugendhospizdienst als Hauptamtliche leitet.

Wichtig sei dieses Hauptamt, weil die Arbeit mit den Kindern und den Familien vom Ehrenamt allein nicht leistbar wäre, betonen die beiden Sozialpädagogen. Sowohl Leonhard wie auch Stooß sind für die Ausbildung der Ehrenamtlichen zuständig, aber auch für die passende Zusammenführung von Ehrenamtlichen und den betroffenen Familien.

So war es auch bei Songül Ucan. Bei ihr hatte es zwei Jahre gedauert, bis sie selbst bereit für das Engagement in einer Familie war – und bis sich eine passende Konstellation ergab. In der betreffenden Familie ist ein Kind schwer erkrankt, Mutter und Vater müssen sich zwangsläufig mehr um dieses Kind kümmern, der kleine Bruder kriege, was übrigbleibt. „Der kleine Bruder hat mit Wut reagiert, er hat getobt, geschrien“, berichtet Ucan. Und die erste Begegnung mit dem Vierjährigen? „Ich habe zu ihm gesagt, ich bin jetzt für dich da.“ Der Kleine konnte das nicht glaubne, er tobte – doch die Sonderpädagogin hielt das aus.

„Heute, nach rund einem Jahr, steht er schon vor der Scheibe, wartet, bis ich komme, und verbschiedet mich mit Kusshand“, sagt Songül Ucan und lacht. Und Dietmar Stooß sagt: „Für die meisten Familien ist es wie ein Sechser im Lotto, wenn eine Person von außen kommt, die sich rein um nicht erkrankte Geschwister kümmert.“

Supervision, Mitarbeitergespräche, Austausch, offene Ohren und auch Ermutigung sind wichtige Bestandteile der ehrenamtlichen Arbeit beim ambulanten Kinder- und Jugend-Hospiz. Die Einrichtung wird im Übrigen nun 15 Jahre alt, „jetzt sind wir nur noch drei Jahre vor dem Erwachsenwerden entfernt“, sagt Stooß und schmunzelt. Finanziert wird die Arbeit fast ausschließlich über Spenden, gefördert wird sie nur von den Krankenkassen, wie Katja Badstöber als Geschäftsführerin des besonderen Dienstes erläutert.

Die Ehrenamtlichen seien der wichtigste Bestandteil der gesamten Arbeit. Aber: „Wichtig ist uns, dass die Ehrenamtlichen auch ‚Nein‘ sagen können“, betont Rita Leonhard. Zwar sollten sie sich nach der Ausbildung verpflichten, zwei Jahre aktiv zu sein – „aber ich werde immer ermutigt, mich nicht zu überfordern und zu sagen, wo meine eigenen Grenzen sind“, sagt Ucan.

Ihr Engagement im Hospizdienst sieht sie als großen persönlichen Gewinn. „Wenn ich die Kinder begleite und sehe, wie sie mit Krankheit, Tod und Trauer umgehen, dann kann ich noch einiges von ihnen lernen“, sagt sie. Dem stimmen die Hauptamtlichen zu. „Erwachsene haben das oft verlernt“, sagt Dietmar Stooß.

Songül Ucan wurde im Übrigen nicht einfach so auf die Familie „losgelassen“: Die Einschätzung von Leonhard und Stooß war der Sonderpädagogin sehr wichtig und sie hatte fünf Probetreffen – um selbst zu sehen, ob das passt mit dem Vierjährigen. Und natürlich musste es ja auch mit der Familie stimmen. „Schließlich bin ich als Fremde von außen da reingekommen.“ Am wichtigsten sei laut Leonhard und Stooß die Kommunikation, der Austausch aller Beteiligten – „und zwar auf Augenhöhe“. Wenn die Chemie zwischen allen Beteiligten stimmt, „dann sind unsere Ehrenamtlichen ein Anker in der Krise“, sagt der Sozialpädagoge. Zum 15. Geburtstag gibt es im Übrigen gleich mehrere Veranstaltungen, Details dazu stehen auf www.hospiz-reutlingen.de.

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