(Foto oben: von links Helmut Treutlein, Klara Geywitz, Sebasatian Weigle, Ulrich Högel und Ronja Nothofer-Hahn)
SPD-Bundesbauministerin Klara Geywitz war am vergangenen Wochenbeginn zu Besuch bei der Reutlinger AWO
Bundesbauministerin Klara Geywitz war am Montagmittag zunächst im AWO-Tagestreff, hatte sich dort vor Ort über das vielfältige Angebot der Reutlinger Arbeiterwohlfahrt informiert – „und auch eine Kleinigkeit zum Essen erhalten“, sagte Sebastian Weigle. Als Vorsitzender der AWO und als SPD-Bundestagskandidat hatte er mit der Ministerin anschließend eine der Reutlinger Oasen begutachtet.
Diese Oasen waren einst von Pfarrer Klaus Kuntz mit dem Arbeitskreis Obdachlose zusammen mit der AWO und der GWG aus der Taufe gehoben worden, um wohnsitzlosen Menschen in Reutlingen eine Bleibe zu verschaffen. Entstanden sind so kleine Wohnungen, die unter dem heutigen Begriff „housing first“ den Menschen deutlich mehr als nur ein Dach über dem Kopf bieten. 32 Oasen existieren heute in Reutlingen und sind zu einer Heimat für die Menschen geworden.
„In Finnland hat ‚housing first‘ mittlerweile Gesetzesrang“, sagte die deutsche SPD-Bauministerin. Das Konzept sehe vor, dass Wohnungslose nicht erst monatelang in Therapie und Entwöhnung müssten, sondern als erste Maßnahme zur Hilfe eine eigene Wohnung erhalten. „Wir haben dafür gesorgt, dass 3,6 Milliarden Euro an die Länder gingen, um den sozialen Wohnungsbau zu fördern“, so Geywitz. Eigentlich aber sei der Soziale Wohnungsbau Ländersache. Auch wenn 3,5 Milliarden Euro für 16 Bundesländer keine Riesensumme sei – „bisher gab es gar kein Geld vom Bund“, so die Ministerin. „Und 3,5 Milliarden sind ja wohl besser als nichts“, stimmte Ronja Nothofer-Hahn als SPD-Kreisvorsitzende zu.
Die Entwicklung beim Sozialen Wohnungsbau sei dramatisch, so Geywitz: „Es gab mal drei Millionen Sozialwohnungen, heute sind es noch eine Million“, betonte die in Potsdam geborene Bauministerin. „Man kann deutlich erkennen, dass der Wohnungsmarkt eben nicht alles von selbst regelt.“ Wohnungslose würden vielerorts kaum eine Wohnung finden, die AWO Reutlingen sei da vorbildlich, weil sie für Wohnraum sorge, indem sie mehr als 100 Wohnungen für ihre Klientel angemietet hat, betonte Geschäftsführer Ulrich Högel beim Besuch der Ministerin.
Weigle hatte schnell mehrere Punkte erkannt, bei denen die Ministerin weiterhelfen konnte: „Klara Geywitz hat uns geraten, für den Sanierungsbedarf der Oasen Förderprogramme von Bund oder Land abzurufen“, freute sich der AWO-Vorsitzende. Ähnlich könnte eventuell auch die Notunterkunft der AWO profitieren, „die alles andere als barrierefrei ist“, betonte Ulrich Högel. „Die Situation dort ist mehr als grenzwertig.“
Geywitz berichtete von ähnlichen Erfahrungen in ihrem eigenen Heimat-Bundesland Brandenburg: „Da sind Ersatzunterkünfte geschaffen worden und erst da hat man gesehen, dass in den bisherigen Sozialwohnungen seit einer Vielzahl von Jahrzehnten gar nichts gemacht wurde.“ Gefordert hat die Bundesbauministerin zudem einheitliche fachliche Standards für die Unterbringung von Wohnungslosen: „Da muss sich unbedingt was tun, es kann doch nicht sein, dass Frauen zusammen mit Männern in Unterkünften untergebracht werden“, so Klara Geywitz.
Viel zu oft sei das in Kommunen noch üblich, „es gibt immer wieder Frauen, die lieber draußen schlafen, als in solchen Unterkünften zusammen mit Männern“. Högel stimmte sofort zu: In Reutlingen gebe es zwar getrennte Räumlichkeiten, aber mancherorts „sind die Unterbringungen wirklich desolat“. Außerdem würden dringend Stabilisierungsmöglichkeiten für Familien und Kinder gebraucht, betonte Sebastian Weigle. „Wir brauchen eine starke Lobby für das Thema der Wohnungslosen“, betonte auch Helmut Treutlein als SPD-Fraktionsvorsitzender des Reutlinger Gemeinderats.
Klar sei, dass weitere Wohnungen dringend auch für Wohnungslose gebraucht würden, waren sich alle SPD-Mitglieder beim Besuch der Ministerin einig. „Neubauten sind genauso wichtig wie die Sanierung von bestehenden Wohnungen“, sagte Klara Geywitz. „Zumal die Mietverträge in den Oasen bei uns nicht an Betreuung gekoppelt ist“, sagte Uli Högel. Und das bedeute, dass die Bewohner auch nach Ende einer sozialpädagogischen Betreuung nicht aus den Wohnungen ausziehen müssen. „Sie können also dort weiter wohnen, quasi bis zu ihrem Lebensende“, betonte Högel.