Mahnwache auf dem Reutlinger Marktplatz nach Versuch der Bundes-CDU, mithilfe der AfD das Asylrecht zu untergraben
Rund 350 Menschen waren zu einer „Mahnwache“ auf den Reutlinger Marktplatz gekommen, um gegen die gemeinsame Abstimmung im Bundestag von CDU/CSU, FDP und AfD zu demonstrieren. „Die Brandmauer ist gefallen, jetzt sind wir die Löschkette“, war auf einem Transparent zu lesen. Auf einem anderen Pappdeckel war „Schämt euch“ zu lesen.
Traugott Huppenbauer, vom Arbeitskreis Flucht und Asyl betonte als Redner bei der Veranstaltung: „Mit diesem Antrag von Merz wurde die deutsche Asyl- und Einwanderungspolitik pauschal für die furchtbaren Morde in Aschaffenburg, Magdeburg, Mannheim und Solingen verantwortlich gemacht.“
Friedrich Merz hatte am Mittwoch, 29. Januar, einen „Entschließungsantrag“ (ein Fünf-Punkte-Papier) im Bundestag zur Abstimmung gestellt. „Und er hat dazu gesagt, dass ihm egal sei, wer zustimmt“, betonte Verena Nerz vom Bündnis für Menschenrechte am Freitagabend auf dem Reutlinger Marktplatz. Damit sei die Brandmauer zur AfD eingerissen worden.
Bei der Abstimmung im Bundestag lehnten 345 Ratsmitglieder den Antrag ab, 348 stimmten zu. Aber: „Merz Vorstoß ist reine Symbolpolitik mit Scheinlösungen“, so Huppenbauer. Die fünf Punkte seien „nicht verfassungskonform und praktisch gar nicht umsetzbar“, betonte Verena Nerz.
Stattdessen werde „pauschal einer Gruppe von Migrantinnen und Migranten in unserem Land die Schuld an den Morden zugeschrieben“, sagte Traugott Huppenbauer. „Verallgemeinernd“ werde eine Gruppe von Menschen „zu Sündenböcken für Straftaten und gesellschaftliche Probleme“ gemacht“. Das sei Populismus pur, getrieben von der AfD, die sich ganz offen im Bundestag über die Abstimmung gefreut hatte.
In seinen Ausführungen wurde Traugott Huppenbauer kurz unterbrochen – bei der Abstimmung im Bundestag zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ der CDU am Freitagabend kam keine Mehrheit zustande, zwölf Abgeordnete der Christdemokraten und der FDP hatten dem Gesetzesantrag die Zustimmung verweigert. (Im Kern geht es dabei um die Begrenzung der Zuwanderung und die Einstellung des Familiennachzugs von Geflüchteten.)
Jubel brandete auf, als Huppenbauer die Nachricht aus Berlin auf dem Reutlinger Marktplatz verbreitete. „Ihr seht, warum es so wichtig ist, dass wir hier stehen.“ Der Fünf-Punkte-Plan hätte „kein einziges der furchtbaren Verbrechen verhindert“, betonte der AK Flucht und Asyl- Aktive weiter.
Und die Folgen von Merz‘ Vorstoß? „Seine Glaubwürdigkeit hat er verloren.“ Nach den Worten von Pfarrer Dr. Joachim Rückle vom Bündnis für Menschenrechte „ist nicht klar, wie die gemeinsame Abstimmung von CDU und AfD sich auf die Wahl am 23. Februar auswirken wird“. Klar sei jedoch, dass die CDU/CSU sich „eine enorme Hypothek für eine Koalition nach der Wahl aufgeladen hat“.
Wer soll denn dann überhaupt noch ernsthaft mit der CDU Verhandlungen aufnehmen? „Eine bessere Steilvorlage für die AfD hätte die CDU nicht geben können“, so Rückle. Die Gesetzesvorlage der Christdemokraten „trieft vor Ausländerfeindlichkeit“, betonte Joachim Rückle. Genau das führe zu weiterer Radikalisierung in der Debatte. Wie aber wirke sich das auf die dringend benötigten Arbeitskräfte aus dem Ausland aus? „Sie werden abgeschreckt“, sagte Rückle. „Eine Politik, die die Menschenrechte missachtet, ist niemals eine Politik für die Menschen.“
Die Veranstaltung auf dem Marktplatz endete mit dem Lied „We hall overcome“, einem Protestlied der US-Bürgerrechtsbewegung aus längst vergangenen Zeiten.
Kommentar:
Anbiedern an die AfD
Drei Wochen vor der Bundestagswahl driftet der Wahlkampf ab in puren Populismus, in ein Aufeinander-Herumhacken – und zwar nicht nur auf der Seite der CDU/CSU. Eigentlich war doch schon klar, dass der nächste Kanzler Friedrich Merz heißen wird.
Sein Vorstoß, jetzt auf die Zustimmung der AfD zu setzen, um seltsam verquer den Rechten bei der anstehenden Wahl Stimmen zu klauen, kann nicht anders bewertet werden, als mit purem Populismus. Lösungen für das tatsächliche Problem der Zuwanderung zu versprechen, ohne auch nur einen tatsächlich praktikablen und rechtskonformen Ansatz präsentieren zu können – was soll das?
Wo sollen denn auf einmal Zehntausende ausgebildete Grenzschützer und die ganze Infrastruktur dafür herkommen? Wie sollen Straftäter in ihre Heimatländer (oder in Drittstaaten in Europa) abgeschoben werden, wenn alle diese Länder sich weigern, die Menschen zurückzunehmen? Allein die Ankündigung von Maßnahmen, zeigt zwar, dass Friedrich Merz durchaus gewillt ist, die Probleme der Straftäter von Aschaffenburg, Mannheim und weiteren Orten anzugehen. Allerdings sind die angekündigten Lösungen ganz einfach nicht praktikabel. Und machen Millionen hier lebende Migranten zu Zielscheiben und Sündenböcken einer verfehlten Einwanderungspolitik.
Dass Merz bei seinem Vorstoß die Stimmen der AfD billigend in Kauf nahm, die Grünen und die SPD aufforderte „ohne Diskussion“ ebenfalls zuzustimmen, das hat mit Politik nichts zu tun. Das „friss oder stirb“-Angebot musste bei SPD und Grünen auf Widerstand stoßen, wenn sie sich danach noch selbst im Spiegel anschauen wollten. Dass sie keinen eigenen Vorschlag unterbreitet haben, könnte man ihnen vorhalten.
Viel Porzellan ist diese Woche in der Demokratie zerschlagen worden. Wie sollen die „Parteien der Mitte“ nach der Wahl Koalitionsgespräche aufnehmen? Wird sich Merz womöglich mit den Stimmen der AfD eine Minderheitsregierung erkaufen? Oder vielleicht sogar eine Koalition mit den Blauen eingehen? Denkbar ist im Moment alles. Nur nicht, dass nach der Wahl die CDU/CSU zusammen mit der SPD und den Grünen eine Regierung bilden könnte.
Wäre es jetzt, in dieser Situation, nicht allerhöchste Zeit (und die letzte Möglichkeit), auf gemeinsame Werte und Vorstellungen zu setzen, Lösungsansätze für die riesige Vielzahl der wirklichen Probleme gemeinsam vorstellen, anstatt sich gegenseitig fertig zu machen? Was gerade passiert, hilft einzig und allein der antidemokratischen AfD. Die kann sich gemütlich zurücklehnen, muss gar nichts machen, sich nicht einmal zu Wort melden. Alle anderen Parteien nehmen der AfD die Arbeit ab und zerlegen sich selbst.