Reutlinger Vesperkirche startete am gestrigen Sonntag zum 28. Mal – Viel Vorfreude im Vorfeld
Viele Menschen konnten es gestern kaum erwarten, dass die 28. Reutlinger Vesperkirche endlich ihre Türen öffnete – und das nicht allein diejenigen, die nun endlich wieder vier Wochen lang ein warmes Mittagessen völlig kostenlos erhalten. Nein, auch die ehrenamtlichen Helfer freuten sich enorm, bis sie wieder im besonderen Gasthaus die Gäste bedienen durften.
Für dieses Engagement erhielt die große Vielzahl an Freiwilligen am gestrigen Sonntag sogar Lob von höchster Stelle in der Stadt: Oberbürgermeister Thomas Keck würdigte den Einsatz mit seinem Dank und mit den Worten: „Die Ehrenamtlichen beweisen Solidarität, Bürgersinn und Nächstenliebe.“ Auch Prälat Markus Schoch äußerte sich ähnlich: „Hier wird Liebe begreiflich – was für ein Schatz ist doch diese Vesperkirche“, betonte er zum Abschluss seiner Predigt während des Eröffnungsgottesdienstes.
Pfarrerin Birgit Hövel, die Vesperkirchenpfarrer Jörg Mutschler in diesem Jahr zur Seite steht (und ihn vertritt, solange er krankheitsbedingt nicht kann), brach das Brot, um es danach unter allen Gästen zu verteilen. Dazu passt auch das Motto der diesjährigen Vesperkirche, das nach den Worten von Joachim Rückle lautet „Herz statt Hetze“.
Der Geschäftsführer des Diakonieverbands freue sich gerade angesichts schwieriger Zeiten auf die kommenden vier Wochen. Viele Sorgen würden die meisten Menschen drücken, etwa ob es zu Frieden auf der Welt komme, wie es mit dem Bürgergeld weitergehe, ob eine Regierung die Probleme der Zeit anpacke. All diesen Fragen und Schwierigkeiten stünden „die Begegnungen hier in der Vesperkirche entgegen, Begegnungen, die guttun, die Vertrauen aufbauen“, so Joachim Rückle.
„Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass die Armut in der Gesellschaft immer mehr zunimmt“, hatte der Prälat betont. „Wir müssen für eine gerechtere Verteilung von Ressourcen, gegen Ausgrenzung und gegen Machtmissbrauch eintreten, nicht nur hier in Reutlingen, sondern weltweit.“
Während einige der Gäste schon ungeduldig auf das Mittagessen warteten, hob OB Keck in seiner Rede hervor, dass „es uns allen nicht gleich gutgeht, die Vesperkirche gibt einen ehrlichen Einblick in andere Lebenswelten“. Empathie, Verständnis für andere Menschen und Mitgefühl seien die Grundlagen, um selbst auch etwas gegen die Ungerechtigkeit in der Welt wie auch in Reutlingen zu tun.
Deshalb sei das Motto „Herz statt Hetze“ gut gewählt, es gelte „das Miteinander zu suchen, nicht das Trennende“, sagte Oberbürgermeister Keck. „Wenn wir auf unser Herz hören, können wir Brücken bauen, wir sollten aktiv zuhören und nicht vorschnell urteilen.“ Für alle Menschen, sei die Vesperkirche „ein Anker, der uns erdet“, so der OB.
Die kommenden vier Wochen werden insgesamt mehr als 300 Ehrenamtliche sich in die Vesperkirche einbringen, darunter viele Firmen, die ihre Azubis und auch Mitarbeiter schicken. Die Koordination, wer wann wie lange helfen will, ist eine aufwändige Aufgabe, wie Ehrenamtskoordinatorin Sabine Lehmkühler erläuterte. „Schulen, Sozialpraktikanten, ein Männerfreundeskreis und viele Einzelpersonen wollen sich einbringen.“
Ein Arzt wird wieder in der Vesperkirche vor Ort sein, zudem auch Sozialberatung in der Person von Karen Bruda. Das Essen kommt erneut von der Großküche der Bruderhaus-Diakonie, am gestrigen Sonntag gab es Gulasch mit Kaisergemüse und Spätzle. Für die 28. Vesperkirche werden nach den Worten von Rückle rund 160.000 Euro benötigt – eine Steigerung, die all die gestiegenen Kosten für Lebensmittel, Löhne, Energie und mehr abbilde.
Als es endlich losging mit dem Essen, wartete eine Frau vor der Nikolaikirche auf einen freien Platz an den Tischen. Auf die Frage, ob sie schon im Café in der Oberen Gerberstraße war, sagte sie: „Neee, ich trinke doch dort nicht erst Kaffee und esse Kuchen – dann habe ich ja keinen Hunger mehr auf das Essen hier in der Vesperkirche.“ Jörg Mutschler wünschte dem besonderen Gasthaus aus dem Krankenstand heraus: „Viele heitere Begegnungen, in denen die Würde jedes einzelnen Menschen zum Tragen kommt.“
Im Vesperkirchen-Café lässt sich nach dem guten Essen in der NIkolaikirche gut aushalten – bei Kaffee und Kuchen.