Nach dem Sturz von Assad herrscht große Freude – auch bei Syrern, die in der Region leben

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30jähriger Wael Alsade kam vor fast 10 Jahren als Flüchtling nach Deutschland, heute berichtet der Pliezhausener über die Situation in seiner Heimat nach dem Sturz von Assad

„Die Freude war riesengroß, als die Nachricht kam, dass Assad gestürzt war“, sagt Wael Alsade. Der 30-Jährige sitzt in seinem Wohnzimmer in Pliezhausen, „ich bin in Elternzeit“, sagt er und lächelt glücklich. In der Zwischenzeit ist er deutscher Staatsbürger, seine Frau und die gerade mal acht Monate alte Tochter sitzen neben ihm. Vor fast zehn Jahren ist Alsade aus seinem Heimatland geflüchtet, ihm drohte die Einziehung zum Militär. Jenes Militär, mit dem er Baschar al-Assad unterstützt hätte.

Das wollte der damals 20-Jährige auf keinen Fall. „In der Schule haben wir gelernt, dass wir in einer Demokratie leben“, sagt er und muss lachen. Die Wahlen seien eine Farce gewesen, ein Schauspiel, sonst nichts – weil vorher schon klar war, dass Assad die Wahl gewinnen würde.

Wael Alsade berichtet über einen seiner Brüder: „2014 ist er verhaftet worden.“ Gründe brauchte das Militär nicht dafür. „Er war damals 32 Jahre alt als er nach Saidnaya kam.“ Amnesty International sprach schon seit Jahren von dem Gefängnis als einem „menschlichen Schlachthaus“, unvorstellbar grausame Foltermethoden seien dort angewendet worden, sagt auch Alsade. Bilder einer hydraulischen Eisenpresse würden nach der Stürmung des Gefängnisses in den sozialen Medien die Runde machen.

Auf Nachfrage erhielt die Familie Alsade die Nachricht, dass der Sohn und Bruder im Gefängnis gestorben sei. Doch als nach der Freilassung der Gefangenen ein Video auftauchte, hatte Wael Alsade seinen Bruder erkannt. „Wir sind jetzt auf der Suche nach ihm.“ Zunächst sei die Freude sehr groß gewesen, den Totgeglaubten lebend zu sehen. Doch was muss er erlitten haben in zehn Jahren in diesem Foltergefängnis.

Nach dem Sturz Assads keimt die Hoffnung bei Alsade und seiner ganzen syrischen Community in der Region, dass nun endlich Frieden kommen könnte. Frieden für ganz Syrien – nachdem Russland, Iran und Hisbollah offensichtlich zu schwach waren, um die Terrorherrschaft von Assad weiter zu stützen. Was Wael Alsade von den Rebellen hält, von ihrem Führer Mohammed al-Dscholani? Er sei ein Freiheitskämpfer, wie auch 65.000 andere, die aus der gesamten Region Damaskus nach Idlib vertrieben und verschleppt worden seien. „Das war ein großer Fehler von Assad.“ Denn somit hätten die Rebellen sich in der Stadt Idlib gemeinsam auf den Umsturz vorbereiten, geballt losschlagen und die Familie Assad vertreiben können.

„Solange Assad an der Macht war, haben wir Syrer, auch nicht im Exil, nichts gegen ihn oder seine Familie sagen können – schließlich hätten unsere Verwandten in Syrien das büßen müssen.“ Die Erleichterung sei groß, dass alle Syrer sich nun frei äußern  könnten.

Was denkt Wael Alsade, wie es in Syrien weitergehen könnte? Die Übergangsregierung werde für geöffnete Ämter und Banken sorgen, sagt er. Assad habe bewusst dafür gesorgt, dass ganze Stadtteile abgeriegelt wurden, die Menschen weder Wasser noch Strom hatten. Nur durch selbst gebohrte Brunnen mit teils verunreinigtem Wasser hätten die Menschen überlebt.

Und selbst in der Hauptstadt habe es oft nur stundenweise Strom gegeben. „Ab 2020 hat Assad dafür gesorgt, dass die Menschen sieben Fladen Brot nur mit einer Bankcard kaufen konnten.“ Alle drei Tage hätten Familien einkaufen können – egal, ob dahinter fünf, zehn oder 20 Menschen standen. „Erziehungsmaßnahmen nannte Assad das.“ Auch, dass man pro Woche nur 20 Liter Benzin kaufen konnte – für Taxifahrer oder Transportunternehmen ein Unding.

„Wir wollen nichts als Frieden“, bekräftigt Wael Alsade. Der Rebellenführer Al-Dscholani sei von den Amerikanern als Terrorist eingestuft worden, doch Alsade sieht ihn als Befreier des Landes. Gar nicht gefällt dem 30-Jährigen, dass die Israelis über die Golanhöhen in Syrien eingefallen sind und anscheinenden nur noch 14 Kilometer vor Damaskus stehen. „Was wollen die in Syrien? Die hatten die Golanhöhen schon annektiert und was machen sie jetzt? Die sollen raus aus Syrien.“

Und das syrische Militär unter Assad, wo ist das hin? „Die Freiwilligen in der Armee sind geflohen, die Zwangsverpflichteten durften gehen, ihnen droht nichts.“ Eine besonders große Armee sei es eh nicht gewesen, Assad sei nur stark gewesen durch Russland, Iran und die Hisbollah.

Und Wael Alsade selbst? „Ich bin seit fast zehn Jahren hier, ich bin Deutscher, habe ein Haus hier, mit meinem Onkel zusammen eine Polsterei in Pliezhausen, ich kann nicht einfach gehen.“ Seine Frau sehe das etwas anders, sie wolle ihre Familie wiedersehen.

„Ich weiß nicht, wie es nun weitergeht“, sagt Wael Alsade. „Wir werden sehen.“ Er will auf jeden Fall Syrien besuchen, seine Familie, sich die Situation vor Ort anschauen, beim Wiederaufbau irgendwie helfen. Aber aus Pliezhausen weggehen will er nicht, der Ort ist zu seiner zweiten Heimat geworden.

Und dass deutsche Politiker jetzt vehement die Rückführung vor allem von noch nicht anerkannten Asylbewerbern fordern? Es sei völlig unklar, was mit seinem Schwager Malek, dem Bruder seiner Frau, passiert. Ein Jahr lang war Malek auf der Flucht, hat vor allem in Libyen Unsägliches erlebt. Seit zwei Monaten ist er in Deutschland.

Sein Asylantrag? Wird er abgelehnt? Weil der Fluchtgrund, die Terrorherrschaft von Assad, nun vorbei ist? Die ganze Familie bibbert. „Malek ist Maler und Gipser, er könnte hier gut arbeiten“, sagt Wael Alsade.

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