Reutlinger „linker Chor Zwischentöne“ wurde vor 40 Jahren gegründet – Inhalt der Lieder und Qualität des Gesangs waren immer gleich wichtig
Unglaublich. 40 Jahre ist es her, dass der Reutlinger Antifaschist Emil Bechtle sich zu seinem 75. Geburtstag ein Gesangsständchen wünschte, wie Suse Wizgall-Lawan beim Gespräch mit der Presse erläutert. Das Singen zu diesem Anlass habe laut Heidrun Schaefer so viel Spaß gemacht, dass die Sängerinnen und Sänger einfach weitermachen wollten.
Ein handgemachtes Plakat in DIN-A-4-Größe im Comic-Stil mit der Überschrift „Ein linker Chor in Reutlingen? Warum nicht“ ist heute noch erhalten. „Es kamen zwölf Leute“, so Ernst Blinzinger. Er, Wizgall-Lawan und Schaefer waren von Anfang an dabei, sie erinnern sich noch gut an die Anfänge – auch wenn das satte vier Jahrzehnte her ist.
Das erste Treffen war am 26. Februar 1984. Peter Stary und Michael Bathiany sorgten für die Chorgründung, der erste Auftritt folgte bereits am 2. Mai desselben Jahres: „Das war anlässlich der Urabstimmung zusammen mit der Marbacher Songgruppe“, so Blinzinger. Die Sängerinnen und Sänger, die sich zusammengefunden hatten, kamen alle aus solchen Songgruppen, die damals groß in Mode waren.
Kritisch setzten sich die „DGB-Zwischentöne“, wie sie zunächst hießen, mit brisanten, gesellschaftlichen Themen auseinander. Die Nähe zu den Gewerkschaften entstand dadurch, dass der Chor um finanzielle Unterstützung gefragt hatte – und die Gewerkschaften wie IG Metall, Verdi und andere tatsächlich einen monatlichen Beitrag bezahlten.
Sie stehen (zusammen mit rund 25 weiteren Sängerinnen und Sängern) hinter 40 Jahren Geschichte des Reutlinger Chors „Zwischentöne“, (von links) Ernst Blinzinger, Suse Wizgall-Lawan, Heidrun Schaefer und Sibylle Höf.
Irgendwann wurde das vom Finanzamt verboten, „weil es hieß, die Gewerkschaften dürften keine gewerkschaftsfremden Organisationen unterstützen“, so Ernst Blinzinger. Für den Chor hat sich dadurch nichts geändert, außer dem verkürzten Namen. Auch weiterhin blieben sie kritisch, sangen vor allem am 1. Mai, am Frauentag, bei Friedensfesten auf dem Marktplatz und im Spitalhof.
Stand ein Auftritt an, wurde jeweils basisdemokratisch über das Thema abgestimmt. Armut war eins, andere hießen 100 Jahre 1. Mai, 500 Jahre Amerika, Macht und Geld und vieles mehr hat den Chor im Lauf der vergangenen 40 Jahre beschäftigt. War das Thema gefunden, „haben wir passende Lieder dazu ausgesucht und dann einstudiert“, sagt Sibylle Höf. Das Prinzip hat sich seitdem nicht verändert. Höf war eine, die etwas später zu den „Zwischentönen“ kam.
Die Erinnerungen, die in dem Quartett als erste auftauchen, wenn sie an die 40jährige Chorgeschichte denken? „Die Mauthausen-Kantate“, sagt Blinzinger. Die hat der Chor 1995 in der Marienkirche aufgeführt. Zehn Jahre später folgte ein Projekt gemeinsam mit anderen ähnlichen Chören direkt in der Konzentrationsstätte Mauthausen. „Das war sehr berührend, da kriege ich heute noch Gänsehaut“, so der ehemalige IG Metall-Bevollmächtigte.
Die Sängerinnen denken als Erstes an Auftritte wie über Amerika oder Afrika. „Der Höhepunkt war ein Auftritt im Theaterhaus in Stuttgart“, so Höf. Das sei schon was ganz Besonderes, wenn da an die 200 Leute aus Chören aus Freiburg, Ulm, Stuttgart, Tübingen, Reutlingen auf der Bühne stehen. „Das ergibt ein Riesenvolumen“, sagt Blinziner.
Das Kritische, gesellschaftliche Entwicklungen zu hinterfragen, sich nicht mit einfachen Antworten abgeben – das sei dem Chor immer wichtig gewesen. Allerdings wollen die Sängerinnen und Sänger nicht in die Ecke eines Laienchors gestellt werden, bei dem es auf die Qualität des Gesangs nicht ankommt. Zahlreiche Chorleiter haben dafür gesorgt. „Jetzt haben wir einen sehr guten, jungen Chorleiter, der auch den katholischen Hochschulchor in Tübingen leitet“, sagt Schaefer.
Der lege großen Wert auf gute Qualität des Gesangs. „Das ist jetzt schon sehr gut, aber wenn ihr dies und jenes noch ändert“, bringe Jan Stoertzenbach dem Chor sehr behutsam bei. Und wie geht’s weiter? Gibt es Nachwuchs für die „Zwischentöne“? Das sei schwierig, sind sich die Sängerinnen und Sänger einig.
„Wir haben ein paar, die noch arbeiten“, sagt Sibylle Höf. Die kurz vor der Rente sind, das sind dann schon die Jüngeren. „Unsere Kinder hören sich zwar immer gern unsere Konzerte an, aber mitsingen wollen sie nicht“, sagt Heidrun Schaefer. Gelöst ist die Nachwuchsfrage somit also nicht.
„Wir haben schon gesagt, dass wir irgendwann mit Rollator auf die Bühne gehen“, sagt Suse Wizgall-Lawan und lacht. „Es ist halt wie bei vielen anderen Chören auch – die Jüngeren wollen sich nicht langfristig binden“, sagt Ernst Blinzinger. Aber nun kommt ja erst mal das Jubiläumskonzert, darauf freuen sich die Chormitglieder schon. Ihre Zahl sei nach Corona wieder angestiegen. „Wir sind jetzt 30 Leute, während der Pandemie waren es aber immerhin auch rund 20.“ Der Chorleiter habe es verstanden, durch Online-Proben die muntere Truppe zusammenzuhalten.
INFO:
Jubiläumskonzert im franz.K
Am Freitag, 29. November, laden die „Zwischentöne“ ins franz.K zum Jubiläumskonzert ein. Das Programm umfasst Lieder aus 40 Jahren Chorgeschichte, zu Themen wie Armut, Krieg und Frieden, Arbeit und Freizeit und noch viel mehr. Karten für die Veranstaltung gibt es im franz.K, im Konzertbüro und im Plattenlädle.