Mit psychischen Krankheiten leben – eindrückliche Erfahrungsberichte in der Schule

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Programm „Verrückt? Na und“ der GP.rt zu Besuch im Reutlinger Isolde-Kurz-Gymnasium – Viel Lob und Dankbarkeit von Achtklässlern      

„Es geht um die Gesundheit und die Zukunft der Jugendlichen – dieses Programm müsste eigentlich ab jeder achten Klasse in allen Schulen durchgeführt werden“, sagte Marion Krieg vor wenigen Tagen im Isolde-Kurz-Gymnasium. Zusammen mit einer Kollegin von der GP.rt und drei „ErfahrungsexpertInnen“ war sie in der Woche vor den Herbstferien an zwei Tagen in vier achten Klassen des Gymnasiums, um über ein Thema zu sprechen, über das ansonsten kaum gesprochen wird – über psychische Erkrankungen.

„Jeder Dritte erleidet in seinem Leben einmal eine psychische Krankheit“, so Krieg als Fachfrau in der Reutlinger Gemeindepsychiatrie. Seit zehn Jahren gibt es an der Achalm das Programm „Verrückt? Na und“, seit zehn Jahren ist die Sozialpädagogin dabei. Genauso lang wie Nea Hennig, als eine der Erfahrungsexpertinnen.

Ihre Geschichte, ihr Leben ist erschütternd. Doch bevor Hennig darüber den Schülern berichtete, tastete sich die Klasse zusammen mit Krieg und Hennig an das Thema heran. Welche psychischen Erkrankungen kennen die Schüler? Depressionen, klar. Essstörungen, Sucht, Phobien. „Wenn man Stimmen hört“, so ein Jugendlicher. Alles richtig, aber: Wie spricht man in der Gesellschaft über psychisch Kranke? Eher gut oder eher schlecht?

Die Meinungen waren ziemlich eindeutig: „Meist wird schlecht über
‚Verrückte‘ gesprochen“, sagtec die Mehrheit. „Die meisten wissen nichts über psychische Krankheiten“, hieß es. „Aber kann ein bisschen Verrücktheit nicht auch ganz schön sein“, fragte Marion Krieg.

Alle Schüler stellten sich auf eine Seite, sagten eindeutig Ja dazu. „Dann hat man im Leben viel mehr Spaß“, so eine Schülerin. Und: „Verrücktheit ist doch auch Kreativität.“ Wenn man sich eine Krankheit aussuchen könnte – „wolltet ihr lieber einen Herzinfarkt kriegen oder depressiv sein“, fragte Krieg. Was für eine Frage – aber die Entscheidung fiel offensichtlich schwer. Etwa die Hälfte der Klasse wählte Herzinfarkt, die andere Depression.

Warum? „Bei Depressionen kann man sich helfen lassen“, so eine Schülerin. „Lieber an einem Herzinfarkt sterben als lebenslang depressiv“, sagte ein Schüler. Depressionen seien jedoch innerhalb von sechs bis acht Wochen gut behandelbar. „Allerdings kann der Weg hin zur Behandlung sehr lang sein“, so Marion Krieg. Deshalb gelte es, auf Symptome zu achten.

Langanhaltende Lustlosigkeit, Trauer, Rückzug, Antriebslosigkeit – Anzeichen für Depressionen können vielfältig sein. „Ich würde versuchen, mit den Betroffenen zu sprechen“, sagten mehrere Achtklässler. Erstaunt zeigten sich die Jugendlichen über die große Anzahl an Pop- und Sportstars, die an psychischen Erkrankungen leiden und sich geoutet haben. Billie Eilish, Ed Sheeran, Selena Gomez, Elton John.

Noch viel erstaunter waren die 13- bis 14-Jährigen jedoch über Nea Hennig und ihre sehr persönlichen Schilderungen über ihr Leben. Sie wurde adoptiert „und dann begann das Drama“. Über viele Jahre hinweg hat sie Gewalt und sexuellen Missbrauch erlebt. Ihr Gehirn hat 17 Jahre ihres Lebens komplett abgespalten, sie hat keinerlei Erinnerungen etwa an die Schulzeit.

„Meine Erinnerung setzt erst wieder ein, als ich mein erstes Kind bekam“, so Hennig. Nach dem zweiten Kind und der Heirat mit ihrem Partner habe er begonnen, sie ebenfalls zu schlagen. Immer und immer wieder. Tränen laufen Nea Hennig über das Gesicht, in der Klasse ist es mucksmäuschenstill. „Eine Freundin ist dann irgendwann mit mir zur Polizei gegangen.“ Ihr Mann erhielt eine Haftstrafe von 3,5 Jahren. Als er wieder in Freiheit kam, begann die Tortour erneut. Trotz Annäherungsverbot.

„Ich war völlig kaputt, habe aber immer alles für meine Kinder getan“, so Hennig. Sie habe sich Hilfe gesucht, wurde aber auf Depressionen behandelt. Falsche Medikamente haben ihr zusätzlich zugesetzt. „Ich bin Traumapatientin, habe erst im Schwarzwald in einer Spezialklinik tatsächlich die richtige Behandlung erfahren.“

Neun Jahre lang ging sie jedes Jahr sechs bis acht Wochen in Therapie in die Klinik, „das war eine sehr schwere Zeit“. Nach einem kompletten Zusammenbruch, habe sie erst wieder lernen müssen, zu leben. Auch heute noch sagt sie: „Ich bin krank, jeder Tag ist für mich ein Kampf.“ Sie sitze heute vor der Klasse, „weil ich euch meine Geschichte erzählen will, weil ich euch zeigen will, dass es Wege aus der Krankheit gibt“, betonte Nea Hennig.

Die Achtklässler stellten eine Menge Fragen, die meisten sehr einfühlsam. Etwa, ob Hennigs Kinder miterlebt haben, als sie von ihrem Partner geschlagen wurde. Oder ob ihr Trauma jetzt verheilt ist. „Nein“, sagte Hennig. „Das wird nie verheilen, aber ich kann mittlerweile wieder allein einkaufen gehen.“ Und sie arbeitet auch wieder, obwohl sie seit einigen Jahren frühberentet ist.

Rückmeldungen der Achtklässler nach diesem ganz besonderen Morgen: „Es war toll, dass Sie sich so geöffnet haben“, sagte ein Schüler. „Man kann sich wirklich nicht richtig vorstellen, was Sie erlebt haben – vielen Dank für Ihre Offenheit“, so eine Schülerin. „Ich danke euch, dass ihr so toll mitgemacht habt“, betonte Nea Hennig.

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