Endlich Allgäu – und dann Eberhard

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Das hatte ich mir anders vorgestellt: Jetzt sind wir hier seit fast einer Woche im Allgäu, nach vier Monaten Sieben-Tage-Arbeitswochen sehnte ich mich endlich nach ein wenig Ruhe, Ausspannen, Erholung, Wandern. Und dann: Krank im Bett nach 1,5 Tagen in Niederstaufen, mitten im bayerischen Allgäu. So was Blödes, könnte man denken. Tue ich auch. So was Saublödes.

Aber: Am ersten ganzen Tag im Allgäu sind wir nach Scheidegg gefahren, dort eine Runde gelaufen, haben den herrlichen Ausblick auf die Alpen genossen. Und dann Eberhard getroffen. Eberhard, 67 Jahre. „Hier ist mein Dienstausweis“, sagte er und zog ein schwarzes Etui mit der Aufschrift „DIENSTAUSWEIS“ aus der Hosentasche. Was kommt jetzt, dachten wir. „Ich war bei der Polizei hier“, sagte er, nachdem er uns, kurz vor unserem Auto, auf der Straße ansprach.

Eberhard hatte einen starken Dialekt, der sich aber alles andere als nach bayerischem Allgäu anhörte. Brandenburg, fragte ich. „Nö, ich komm aus der Lutherstadt Wittenberg“, sagte Eberhard. Also Sachsen-Anhalt. Nach dem Mauerfall sei er rübergekommen, war in München, am Bodensee, er arbeitete wohl bei Security-Unternehmen. In Scheidegg bei der Polizei, sagte er. „Seit ich 20 bin habe ich keinen einzigen eigenen Zahn mehr“, betonte er unvermittelt. „Die Stasi wollte meine beiden Schäferhunde haben.“ Er habe die Herausgabe verweigert, daraufhin „haute mir der eine direkt auf die Fresse“. Eberhard sei in den Knast gekommen, in eine Zelle mit maximal 1,5 Quadratmetern Platz. „Als ich pinkeln musste, klopfte ich an der Tür, ich stand direkt dahinter.“ Die Tür sei aufgerissen worden, ein Wärter habe ihm erneut direkt ins Gesicht geschlagen. Ihn habe es an die gegenüberliegende Wand geschleudert. Wieder seien einige Zähne flöten gegangen.

Irgendwann kam er irgendwie mit Frau und Kind nach Scheidegg. „Und morgen habe ich Geburtstag, da muss das Wetter schön sein“, sagte Eberhard. Er liebe Pferde, sei auch Pferdewart und Hundetrainer gewesen. „Ihr müsstet mal meine Wohnung sehen, da ist alles voller Pferde“, sagte er. Wir wünschten Eberhard aus Wittenberg, wohnhaft in Scheidegg, einen wunderbaren morgigen Tag. Er bedankte sich und sagte: „Det war jetz aber schön, dat wir uns getroffen haben.“ Seitdem hoffen wir für ihn, dass er in Scheidegg noch auf viele Menschen trifft, die ihm zuhören. Es lohnt sich. Eberhard hat viel zu erzählen. Als Zeitzeuge aus der DDR. Er kann über Diebe und sonstige Verbrecher berichten, die er im Westen festgenommen hat. Und auch von traurigen Dingen in seinem Leben.

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