Führung durch Ausstellung „1250 Jahre Mössingen und mehr“ und Erzählcafé von Menschen, die vor Jahrzehnten in der Stadt eingewandert sind
Was für eine grandiose Kombination: Zunächst führte Dr. Franziska Blum am Dienstagabend durch die Ausstellung „1250 Jahre Mössingen und mehr“. Die Museumsleiterin zeigte dabei auf, dass aus dem Ort vor allem im 18. und 19. Jahrhundert eine große Zahl Einwohner ausgewandert ist – aus der puren Not heraus.
Mit solchen oder ähnlichen Koffern sind Mössingerinnen oder Mössinger vor 100 bis 200 Jahren ausgewandert.
„Mössingen war lange Zeit Spitzenreiter bei der Auswanderung“, so Blum. Doch der Zeiger drehte sich: Nach dem Zweiten Weltkrieg zogen immer mehr Menschen in den Ort, der 1974 zur Stadt erhoben wurde. In einem Erzählcafé unter der Leitung der Ideengeberin und Mössinger Integrationsbeauftragten Dilek Aydin berichteten Mössingerinnen und Mössinger über ihre Herkunft, wie sie ins Schwäbische kamen und wie für sie das Leben in der Stadt oder ihren Teilorten sich anfühlt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Flüchtlinge und Einwanderer nach Mössingen, wie Franziska Blum aufzeigte.
Zum Beispiel Antonio Di Gesaro: „Ich kam 1966 aus Sizilien.“ In Mössingen habe es schon damals eine größere italienische Gemeinde gegeben. Die meisten der italienischen Zugewanderten hätten laut Di Gesaro auf dem Bau gearbeitet, in Baracken gewohnt, „erst später kamen Frauen und Kinder dazu“.
Nach und nach hätten seine Landsleute auch in anderen Betrieben Fuß gefasst, erst in der dritten und vierten Generation gingen die Kinder aufs Gymnasium und studierten. Antonio Di Gesaro hatte sich von Anfang an für seine Landsleute eingesetzt, einen Sportverein gegründet, später dann einen Elternverein und sich vor wenigen Jahren zum Elternmentor ausbilden lassen.
Prof. Dines Christen kam mit seiner Frau 1974 als Wissenschaftler aus Dänemark nach Tübingen an die Uni und dann nach Bästenhardt. „Das war für uns damals ein Kulturschock“, sagte er am Dienstagabend in der Pausa im Erzählcafé. Die Schulen in der Region seien auf einem Stand gewesen, die an die Erzählungen der eigenen Eltern in Dänemark erinnerten. Das hinderte Christen aber nicht daran, sich massiv in Bästenhardt einzubringen: 1999 habe er am Stadtentwicklungsplan mitgearbeitet, 2001 den Verein „Bürger für Bästenhardt“ mitgegründet. Mehrfach hatte er für den Mössinger Gemeinderat kandidiert, einmal rückte er nach.
Tiblez Cuflon kam 1980 nach Öschingen. „Die Öschinger hatten damals Angst vor Schwarzen“, erinnerte sich die gebürtige Eritreerin, die vor den Bomben in ihrer Heimat geflohen ist. „Langsam haben die Öschinger gelernt, dass wir auch Menschen sind“, sagte sie im Erzählcafé. Nach einiger Zeit hätten sich einige Bewohner des Orts als „ganz nett“ herausgestellt.
Zunächst musste sie mit anderen in einem Haus ohne Strom an der Hauptstraße leben. „Die Öschinger konnten kein Englisch und kein Italienisch, wir kein Deutsch.“ 1984 habe sie eine Stelle an der Uni in Tübingen gefunden. Und 1980 war Fuzum Semere nach Mössingen gekommen.
Antonio Di Gesaro (von links), Prof. Dines Christen, Tiblez Cuflom, Fuzum Semere, Manal Plocher, Bekim Zeqiri und Dmitri Stobbe berichteten am Dienstag aus ihrem Leben.
Er war ebenfalls vor dem Krieg in Eritrea geflohen, arbeitete hier in der Metallbranche, später bis zur Rente als Lagerist. „Dann hatte ich einen Nebenjob als Busfahrer für KBF.“ Auch er wohnte seit 1984 mit seiner Familie in Bästenhardt, eine Tochter hat studiert, lebt jetzt in den USA, eine weiter Tochter machte eine Ausbildung im Rathaus. „Anfangs war es für mich schwierig, weil ich ganz allein war“, so Semere. Doch dann lernte er die Familie von Tiblez Cuflon kennen. „Wir sind wie Geschwister“, sagte sie und nahm Semeres Hand.
Manal Plocher stammt aus Ägypten, sie kam vor 30 Jahren der Liebe wegen nach Mössingen, aber: „Ich war hier die Ausländerin, das war nicht einfach.“ Stets habe sie Angst gehabt, Dinge falsch zu machen. Seitdem sie in der Schule als Dolmetscherin arbeitet, sei es besser.
Bekim Zeqiri floh 1992 ebenfalls wegen eines Krieges aus dem Kosovo. Mehrfach hatte er Mössingen verlassen, kam aber immer wieder zurück. „Wegen der Emotionen.“ Im Kosovo hatte er studiert, als Flüchtling arbeitete er in Nehren zunächst auf dem Bau. „Ich war ganz allein, musste die Sprache lernen.“ Für ihn habe die mehrmalige Rückkehr nach Mössingen viel mit Heimatgefühl zu tun, „mit Emotionen“, wie er erneut betonte.
Dmitri Stobbe kam ebenfalls 1992 nach Deutschland, aus der ehemaligen UdSSR. Damals war er 16 Jahre, mit seiner Familie in Nordrhein-Westfalen. Er hatte Glück, konnte schon Deutsch, besuchte das Gymnasium, studierte Maschinenbau und kam 2005 zu einer Firma nach Engstingen. „Eigentlich wollte ich zurück nach Nordrhein-Westfalen, habe dann aber meine Frau kennengelernt.“
Sie bekamen eine Tochter, über einen Arbeitskollegen fand Stobbe ein Baugrundstück in Öschingen, er baute ein Haus, „heute spüren wir, hier sind wir zuhause“, so der Ingenieur. Das Fazit dieses besonderen Erzählcafés? „Ein bunter, hochinteressanter Abend voller Emotionen“, sagte Dilek Aydin.