Ende einer Ära – die Bad Uracher „Beatstompers“ gibt es nicht mehr

0

Rhythmus-Professor Dierk Zaiser beendet Projekt für benachteiligte Jugendliche in Bad Urach nach 18 Jahren

Die Beatstompers gibt es nicht mehr. Ganz viel Trauer ist dabei, als Dierk Zaiser sein ureigenes Projekt in Bad Urach am Mittwochabend beenden muss. Mit viel Enthusiasmus erfolgte 2006 der Start, eine erste Trommel-Gruppe entstand an der Reutlinger Fakultät für Sonderpädagogik als Forschungsprojekt. Eine zweite Gruppe gründete Zaiser nur ein Jahr später in Bad Urach.

Hinter einem Öltank in einer Baracke im Seilerweg hinter dem großen BayWa-Parkplatz war die letzte Bleibe der Bad Uracher Beatstompers. Vor dem Raum liegt Müll, das Ganze wirkt wenig einladend, eher abstoßend. Wie mussten sich die Jugendlichen gefühlt haben, die dort trommelten? Am Mittwoch war diese Frage nicht entscheidend. Oder doch? Die Trommler wussten von dem Termin, der Raum musste geräumt werden, alle selbstgefertigten Schlaginstrumente sollten im Jugendhaus-Keller untergestellt werden. Nach 18 Jahren fand das Projekt damit sein Ende. Die Finanzierung funktionierte nicht mehr. Und vor allem fehlte eine Person, die den Laden am Laufen hielt.

Von den jugendlichen Trommlern war am Mittwochabend niemand vor Ort, um anzupacken. Die Abwesenheit der aktuellen Beatstompers war symptomatisch für das gesamte Projekt: Sie brauchten immer einen Animateur, ein „Zugpferd“, einen Sozialarbeiter, der sich kümmerte. Weil die Beatstompers eben nicht nur aus Auftritten, aus Reisen in die ganze Republik und aus Erfolgen bestand.

Neben 60 Prozent Proben, Musik, Rhythmus-Arbeit und Auftritten waren laut Zaiser rund 40 Prozent „klassische Sozialarbeit“ erforderlich. Viele Jahre lang hatte Dierk Zaiser sich selbst gekümmert, dabei habe er „alle Themen behandelt, von ganz Persönlichem bis hin zu Problemen in der Schule, in der Ausbildung oder auch mit der Justiz“, so der Musik-Professor. „Ein paar Jungs standen schon mal mit dem Koffer da, weil sie zuhause rausgeflogen sind“, erinnerte sich Zaiser. Für sich selbst zog der Rhythmus-Professor aber ein durchweg positives Fazit: „Ich habe unheimlich viel gelernt, bin vielen Kulturen und Biografien begegnet.“

Vor zwölf Jahren entstand dieses Foto bei einer Probe der Beatstompers, damals im Keller der Festhalle.

Zunächst waren die Jugendlichen, die zu den Beatstompers kamen, vom Gericht zur Teilnahme verpflichtet worden. Den kriminell gewordenen Jugendlichen sollte so aus ihrem Schlamassel herausgeholfen werden. Mit Musik. Mit Rhythmus. Mit Proben und mit Auftritten. Mit Erfolgserlebnissen, die die meisten Jugendlichen bis dahin nicht kannten. Bald kamen auch andere benachteiligte Jugendliche freiwillig dazu. Die von der Möglichkeit gehört hatten, dass es da eine Gruppe gab, bei der ein cooler Typ einem das Trommeln beibrachte.

Einen Auszug aus ihren Trommelkünsten sind hier zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=ow_A9j0v_v8

„In der Öffentlichkeit war das Interesse an dem vom Sozialministerium geförderten Projekt groß“, sagte Zaiser am Mittwochabend. Häufig war die Politik vor Ort: Der Justizminister war da, Günther Oettinger als Ministerpräsident, sogar der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler. Zaiser war der Initiator, hatte seine Doktorarbeit über das Projekt geschrieben. Und die Beaststompers blieben nicht auf den Kreis Reutlingen beschränkt: Weitere Gruppen bildeten sich, in Ulm, in Konstanz und in Weingarten.

Mit Rhythmus junge benachteiligte Menschen begeistern und auf den rechten Weg bringen – bei so manchen gelang das. „Einige haben eine Ausbildung gemacht, einen Job gefunden, das freut mich sehr“, betonte der Professor an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen. Doch andere haben es nicht geschafft, sie wurden wieder kriminell.

Insgesamt aber war das Projekt „Beatstompers“ ein äußerst erfolgreiches. Deshalb sagte Dierk Zaiser im Rückblick auch: „Schade.“ Das Projekt sei von Anfang an darauf ausgelegt worden, dass die Rhythmus-Gruppe sich irgendwann selbst organisiert. Musikalisch hätte das auch geklappt, „die letzten Jahre hat ein syrischer Flüchtling, die Gruppe geleitet, der war musikalisch richtig gut“. Und dazu habe er auch noch Sozialarbeit studiert. Alles funktionierte – doch er wechselte beruflich nach Stuttgart. Das war’s dann.

„Es braucht jemanden, der hier zieht, der die Alltagsbetreuung der Jugendlichen übernimmt“, so Zaiser. Die Mobile Jugendarbeit wäre wohl am besten geeignet, die habe den Kontakt zu den Jugendlichen. „Aber die leidet ja wohl auch unter Fachkräftemangel.“

Die großteils selbstgefertigten Rhythmus-Instrumente werden nicht mehr gebraucht.

Ahmad Ozgulmanz hatte zuletzt versucht, die Gruppe zusammenzuhalten, wie er am Mittwoch berichtete. Der heute 38-Jährige war schon bei den ersten Beatstompers in Reutlingen dabei und hatte es trotz schlechtester Voraussetzungen geschafft: Vor allem durch seinen Betreuer (aber auch durch die Beatstompers) hatte er seinen Hauptschulabschluss und eine Schreinerlehre bestanden, sich selbständig gemacht – und dann kam die Diagnose Lymphdrüsenkrebs.

Operation, Chemo und Bestrahlung folgten, als es ihm einigermaßen besser ging, meldete er sich bei Dierk Zaiser. „Ich habe gerade Zeit“, sagte er. Und er probierte, die Beatstompers in Bad Urach zu den Probeterminen zu animieren. Doch es misslang. Vor wenigen Wochen kamen sie noch zu Auftritten in der Metzinger Motorworld und beim Verein für Kriminalprävention.

Aber zu Proben konnten sich die Jugendlichen, die mittlerweile alle um die 25 Jahre alt sind, nicht bewegen. Und der Nachwuchs fehlt. „Durch Corona haben wir die 14- bis 18-Jährigen in Bad Urach verloren“, sagte Zaiser. „Schade.“ Wirklich sehr schade, dass dieses so viel beachtete Projekt nun enden muss.

Share.

Comments are closed.