„Reutlinger Initiative deutsche und ausländische Familien“ (Ridaf) hat ganz besondere Strukturen und eine flache Hierarchie
Ridaf ist eine ganz besondere Einrichtung. Davon sind Geschäftsführer Wolfgang Grulke, Vereinsvorsitzender und Mitgründer Ernst Blinzinger sowie die Prokuristinnen Nilgün Cabuk und Irene Schulz überzeugt. Die beiden Frauen haben eine beeindruckende Karriere hinter sich, die türkisch-stämmige Cabuk startete als Ein-Euro-Jobberin bei Ridaf, machte eine Ausbildung dort, studierte berufsbegleitend und ist nun ebenso in einer Führungsposition wie die zweite Prokuristin.
Irene Schulz stammt aus Kasachstan, hat ebenfalls eine Ausbildung zur Bürokauffrau bei Ridaf absolviert, sich berufsbegleitend zur Betriebswirtin weitergebildet und ist nun für die Integrationskurse und das Personal zuständig. Nilgün Cabuk trägt die Verantwortung für die Lohn- und Finanzbuchhaltung und für noch viel mehr. Apropos Verantwortung: „Wir haben hier eine sehr flache Hierarchie und alle sind für alles zuständig“, betont Grulke.
Das setze natürlich voraus, dass der Geschäftsführer bereit sei, Verantwortung abzugeben und die Beschäftigten diese Verantwortung auch übernehmen und tragen wollen. Genau das sei bei Ridaf der Fall – ein Glücksfall und das werde auch so gelebt. Wertschätzung sei selbstverständlich, egal, ob gegenüber Psychologen oder den sogenannten Arbeitsgelegenheiten.
„Ich verstehe unsere Ein- oder Zwei-Euro-Jobber im Bereich unseres Hausmeister-Service sehr gut, ich habe selbst so angefangen“, sagt Cabuk. „Wir versuchen, alle hier aus der Arbeitslosigkeit herauszuholen.“ Und das gelinge extrem gut. Heute beschäftigt Ridaf 20 Fachkräfte in der Jugendsozialarbeit, 14 im Haus- und Hofservice, vier in der Verwaltung und Geschäftsführung sowie auf Honorarbasis fünf Lehrerinnen sowie drei Arbeitsgelegenheiten.
Schon als der Verein Ridaf 1981 gegründet wurde, war Ernst Blinzinger dabei. Der ehemalige Gewerkschafter erinnert sich, dass die „Reutlinger Initiative deutscher und ausländischer Familien“ von Betriebsräten der Firma Bosch sowie Studierenden aus Tübingen und von der Reutlinger PH gegründet wurde. Wolfgang Grulke studierte damals an der PH.
„Es ging darum, eine gemeinsame Begegnungsstätte zu gründen, Feiern und Aktionen zu gestalten“, erinnern sich Blinzinger und Grulke. Allerdings sei schnell klar gewesen, dass „wir mehr wollten als Folklore“, so Grulke. Ausländische Beschäftigte und vor allem auch ihre Kinder sollten unterstützt werden. Lehrerinnen wurden angestellt, anfangs kümmerten sich acht Pädagogen um rund 120 Jugendliche, unterstützten sie vor und während einer Ausbildung.
Es dauerte allerdings nicht lang, bis andere Einrichtungen diese Idee ebenfalls aufgriffen „und dann ging das Dumping los“, so Grulke. Dem konnte (und wollte) sich Ridaf nicht stellen, die „Ausbildungsbegleitenden Hilfen“ wurden eingestellt „und der Bereich Jugendsozialarbeit fast ganz abgewickelt“.
Ebenfalls fast von Beginn an hat Ridaf Sprachkurse angeboten. Der „Haus und Hofservice“ sowie ein Seniorenservice kamen hinzu, die Jugendsozialarbeit wurde nach dem zwischenzeitlichen Einbruch massiv ausgebaut: „Der Landkreis hat uns die Schulsozialarbeit übertragen und uns wird im Bereich Integration in der Region große Kompetenz zugeschrieben“, so Grulke. In der Jugendsozialarbeit bietet Ridaf Jugendberufshilfe, AVdual-Begleitung, ein Schulabbrecher-Projekt und eben die Schulsozialarbeit an.
„Das Besondere an Ridaf sind diese drei Bereiche der Sprach- und Integrationskurse, der Haus- und Hofservice sowie die Jugendsozialarbeit“, betont Wolfgang Grulke. In schwierigen Zeiten könne ein Bereich die anderen stützen. Krisen könnten so besser überwunden werden als bei anderen sozialen Einrichtungen, die von einem einzigen Bereich abhängig sind.
Und dennoch hat Ridaf selbst auch solche Krisenzeiten erlebt, „als ich 2012 hier anfing, stand Ridaf kurz vor der Insolvenz“, erinnert sich der Geschäftsführer. Der Verein, der 2002 in eine gemeinnützige GmbH überführt wurde, hatte zwischenzeitlich einen Catering-Service vor allem für Schulen aufgebaut. „Das ist wohl schlecht kalkuliert worden“, so Grulke. Nach der Abwicklung dieses Bereichs ging es wieder aufwärts.
Eine weitere Besonderheit von Ridaf? „Wir waren von Anfang an international ausgerichtet.“ Und Nilgün Cabuk ergänzt: „Wir begegnen unseren Beschäftigten hier mit Respekt, Wertschätzung und auf Augenhöhe – sie sind keine Ausländer, Migranten oder Flüchtlinge, sondern Menschen.“ Und wie sieht die Zukunft aus? „Wenn es sich anbietet, werden wir die drei Arbeitsfelder ausbauen – aber keine Projekträuberei betreiben“, sagt Wolfgang Grulke.