Gefährdung von Sozialen Unternehmen durch weniger Zuweisungen vom Jobcenter, durch steigende Lohnkosten und weiter grassierende Bürokratie
„Die steigenden Personalkosten haben uns im vergangenen Jahr einen gehörigen Schreck eingejagt“, sagt Alexander Koch, der zusammen mit Claudia Huber die Geschäftsleitung des Reutlinger sozialen Beschäftigungsträgers innehat. Zum gestiegenen Mindestlohn kamen die deutlichen Tariflohnerhöhungen, die Anpassung an den öffentlichen Tarif und dann auch noch Inflationsausgleichsprämien für die Beschäftigten.
„Das machte bei uns eine Steigerung der Löhne von 16 bis 17 Prozent aus“, so Huber. Als gemeinnütziges Unternehmen seien solche Beträge schwer oder gar nicht zu verkraften. Ein sozialer Beschäftigungsträger in Rottenburg, die Firma „Intro“, musste gar den Betrieb aufgeben. „Die Strukturen dort waren ziemlich genau die gleichen wie bei uns“, betont Claudia Huber.
Auch dort stand ein Umzug an, auch dort gingen die Zuweisungen von Arbeitsgelegenheiten (AGHs früher Ein-Euro-Jobs) vom Jobcenter zurück, von denen Unternehmen wie DaCapo, ProLabore, dem IB, VSP, Ridaf, Bruderhaus-Diakonie und eben auch Intro zumindest zum Teil abhängig sind. „Die Rottenburger Firma hat gar keine sogenannten Arbeitsgelegenheiten mehr zugewiesen bekommen“, so Huber.
Ähnlich sieht es bei dem sozialen Unternehmen Giba in Rottenburg aus, wie der Geschäftsführer Sascha Eberhardt selbst berichtet. „Wir hatten vor Corona 100 Umschulungsmaßnahmen mit Bildungsgutschein im Bereich Metall, jetzt sind es noch neun.“ Das erscheine „paradox, weil alle nach Fachkräften schreien“, so Eberhardt.
Die Firma Giba gebe es seit 45 Jahren, sie sei auf vom Staat geförderte Weiterbildungsmaßnahmen angewiesen. „Wir haben den Nachteil, dass wir in der Metallbranche für die Ausbildung auf einen großen CNC-Maschinenpark angewiesen sind – das macht uns anfälliger als andere Branchen“, sagt Sascha Eberhardt.
„Um Kosten einzusparen, mussten wir Arbeitsverträge auslaufen lassen“, sagt Alexander Koch von DaCapo. Trotzdem müsse die Arbeit im Reutlinger Gebrauchtwarenhaus ja dennoch erledigt werden. „Nun aber mit weniger Leuten“, so Koch. Also steige der Arbeitsaufwand für die einzelnen Beschäftigten. Trotz der Gegenmaßnahmen „haben wir Ende des Jahres 2023 rote Zahlen geschrieben“, betont Koch.
Um die Verluste auszugleichen, versucht Claudia Huber öffentliche Mittel einzutreiben oder Unterstützung bei Stiftungen zu erhalten. Einfach sei das nicht, der Aufwand, um solche Anträge zu formulieren und die Regularien zu erfüllen, sei enorm. Hinzu kommen ständige Prüfungen etwa von der Bundesagentur für Arbeit, vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, der LB-Bank und anderen mehr. „Alle schicken ihre Prüfer, der bürokratische Aufwand wird immer größer“, so Huber.
Und dann auch noch das Jobcenter, das gezwungen war, eine Zertifizierung für verschlüsselte Kommunikation einzuführen. Aus Datenschutzgründen. „Es hieß, dafür würden keine Kosten anfallen – was aber nicht stimmte“, so Koch. Der Email-Verkehr zwischen DaCapo mit dem Jobcenter durfte nur noch verschlüsselt stattfinden.
„Wir mussten uns ein Zertifikat kaufen und dann einen IT-Fachmann bezahlen, der alles bei uns installierte.“ Koch musste sich qualifizieren, sprach mit einem indischen Zertifizierer auf Englisch. Ab 1. Juli hätte die verschlüsselte Kommunikation funktionieren sollen. „Jetzt ist Ende Juli und wir können immer noch nicht wie bisher per Email mit unserem persönlichen Berater kommunizieren.“ DaCapo sei dazu übergegangen, die fast täglichen Anfragen wieder per Post zu versenden. „Das ist alles sehr unbefriedigend“, sagt Koch.
Wie es weitergehen soll? Mit DaCapo? Mit all den anderen sozialen Beschäftigungsträgern? „Die Aussichten sind nicht gut, zumal die Politik gerade mal wieder genau auf diese Menschen draufhaut“, sagt Alexander Koch.
Allein die Behauptung, dass sich massenhaft Arbeitslose weigern würden, einen Job anzunehmen („Totalverweigerer“) sei bodenlos. „Der Leiter des Jobcenters Reutlingen hat mal gesagt, dass sogenannte Totalverweigerer in der Statistik deutlich weniger als 1 Prozent ausmachen“, betont Koch. Hinzu kämen Äußerungen wie von Finanzminister Christian Lindner, der erst vor wenigen Tagen mal wieder den „Missbrauch von sozialen Leistungen“ anprangerte. „Wenn man so was hört, dann könnten wir ja gleich unsere Arbeit aufgeben“, so Koch.
INFO:
Soziale Beschäftigungsträger
Sogenannte soziale Beschäftigungsträger sind Unternehmen, die versuchen, besonders benachteiligten Menschen den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu ebnen. Mithilfe von Unterstützung, viel Rücksicht und Sozialarbeit geben die sozialen Unternehmen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Halt, Struktur und die Möglichkeit, sich wieder an eine geregelte Arbeit zu gewöhnen. Finanziert werden die Beschäftigungen zumeist über spezielle Maßnahmen vom Jobcenter. Fallen die Zuweisungen vom Jobcenter weg (während Corona war das massiv der Fall), dann geraten die sozialen Unternehmen oftmals in massive Not.