Quelle der Bereicherung

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Verein Ridaf wurde vor 40 Jahren gegründet, um Interessen ausländischer Mitbürger zu vertreten und Integration zu fördern. Heute ist die einstige Initiative eine gGmbH und in zahlreichen Feldern tätig

„Die bunte Vielfalt menschlicher Existenz verstehen wir als unversiegbare Quelle der Bereicherung unseres eigenen Lebens.“ Dieser Satz steht im Leitbild von Ridaf, eines Vereins, der vor mittlerweile 40 Jahren gegründet wurde und ausgeschrieben so heißt: Reutlinger Initiative deutsche und ausländische Familien. „Ende der 1970er Jahre hat sich in Reutlingen ein Arbeitskreis ausländischer Arbeitnehmer gebildet, kurz AAA“, erinnert sich Michaela Menichetti als Ridaf-Gründungsmitglied beim Pressegespräch am vergangenen Montag zum 40jährigen Bestehen der Initiative und heutigen gGmbH.

Eine unglaubliche Vielzahl an Vereinen, Einrichtungen, Institutionen war damals dabei – von IG Metall über Kirche, Caritas, Diakonie bis zur Arbeitsagentur. „In dem Arbeitskreis haben sich dann verschiedene Arbeitsfelder herausgebildet, der große Wunsch der Migrantenvereine und des AK war damals, eine Begegnungsstätte, einen Treffpunkt für ausländische Arbeitnehmer und Familien zu finden“, so Menichetti. Sehr bescheidene 1,5 Zimmer in der Gartenstraße wurden zunächst angemietet, das ehemalige Packma-Gebäude in der Gminderstraße folgte, bevor die ehemalige Kaserne in der Ringelbachstraße der jetzige Standort wurde. Organisiert war anfangs fast alles über das Ehrenamt. Ridaf wuchs und wuchs, „wir haben dann überlegt, wie wir die Arbeit finanzieren könnten“, betonte Gründungsmitglied Menichetti.

„Ridaf war schon immer ein Haus der Kulturen“, berichtet Eberhard Schwille als erster Geschäftsführer der Initiative. „Schon in den Anfängen wurde versucht, Angebote zu machen – ein Jugendtreff war dabei, ein Frauentreff.“ Und Sprachkurse. Unterschiedliche Fördermöglichkeiten wurden gefunden, etwa für ausbildungsbegleitende Hilfen. Das Projekt war sehr erfolgreich, wie Schwille ausführt. Weil der studierte Pädagoge auch eine kaufmännische Ausbildung gemacht hatte, „hieß es irgendwann, ‚dann kannst du doch auch Geschäftsführer‘“, erinnert sich Eberhard Schwille schmunzelnd.

Doch die Stellung in der Stadt war viele Jahre schwierig, Anerkennung gab es zunächst gar keine. Und auch keine Zuschüsse. Erst nachdem zum fünfjährigen Bestehen von Ridaf Hermann Schaufler (CDU) als Gastredner gewonnen wurde – und damit der Widerstand vor allem der CDU im Gemeinderat gebrochen wurde – ging es aufwärts. „Schaufler war der Türöffner“, so Schwille. Was den Verein aber lange Jahre begleitet hat, war die Frage: „Wer kann ausländische Mitbürger integrieren – deutsche Sozialpädagogen oder die Ausländer selber“, sagt Eberhard Schwille. „Die Frage hat sich erübrigt, weil bei Ridaf die Beschäftigung der Hauptamtlichen von Anfang an interkulturell war“, ergänzt Wolfgang Grulke als heutiger Ridaf-Geschäftsführer.

Drei Felder „beackert“ die Initiative heute: Jugendsozialarbeit – weil sich unter „abgehängten Jugendlichen viele Migranten befinden“, so Grulke. Hinzu kommen Sprach- und Integrationskurse und als drittes Feld eine Beschäftigungsinitiative, der sich Haus- und Hofservice nennt. Das sei ein Bereich, der sich extrem großer Nachfrage erfreue, denn er kümmert sich um haushaltsnahe Tätigkeiten, Entrümpelung, Seniorenhilfen und mehr. „Wir könnten noch deutlich mehr Leute anstellen, aber die Nachfrage nach solchen Jobs ist nicht gerade groß“, so Grulke. „Obwohl wir deutlich über dem Mindestlohn zahlen.“ Bestandteil der Ridaf-Arbeit ist aber auch die Schulsozialarbeit sowie die Projekte, die sich um Schulverweigerer kümmern. „Das sind junge Menschen, die irgendwo verloren gegangen sind.“ Zusammen mit dem Landkreis, Jobcenter und Schulen hat Ridaf diese Projekte entwickelt. „Da wird wirklich richtig gute Arbeit geleistet“, so Grulke.

Über all die Jahre war die Verbindung zwischen Ridaf und der Arbeitnehmerschaft, der IG Metall immer groß, wie Ernst Blinzinger als ehemaliger IG-Metallchef in der Region betont. „Von Anfang an waren viele ausländische Arbeitnehmer aus den Betrieben in der Region bei Ridaf dabei – Griechen, Türken, Italiener, Jugoslawen“, so Blinzinger. „Erst 1972 haben Ausländer ein Stimmrecht in den Betrieben gekriegt, vorher hatten sie dort nichts zu melden.“ Anfangs sei in den Betrieben für Ridaf gesammelt worden, „so konnten etwa Sprachkurse mit Kinderbetreuung hier angeboten werden“, so der ehemalige IG-Metaller.

Auch heute noch, in den ehemaligen Kasernenräumen, treffen sich regelmäßig Migrantenvereine. Darunter auch der ursprünglich serbische Verein SV Sweti Sava. Für ihn steht Bozana Cetojevic, die selbst Vorstandsmitglied bei Ridaf ist – und auch Vorstand des SV Sweti Sava. Dabei handelt es sich im Übrigen um einen reinen Männerfußballverein. Warum? „Weil uns die Stadt untersagt, als ausländischer Verein Jugendarbeit zu machen“, sagt Cetojevic. Ein Unding, sind Blinzinger, Menichetti und Schwille empört. Als Sweti Sava-Vorsitzende hat Cetojevic durchgesetzt, dass sich der Verein auch für andere Nationalitäten öffnet. „Heute haben wir elf Nationen dabei, darunter Deutsche, aber auch viele Flüchtlinge.“ Und Ridaf? Wird sich hoffentlich auch die kommenden 40 Jahre weiter um deutsche und ausländische Familien kümmern.

Prominente Azubis und Mitarbeiter von Ridaf

 Im Gespräch mit unserer Zeitung erinnert sich Eberhard Schwille als erster Ridaf-Geschäftsführer daran, dass ein junges türkisches Mädchen unbedingt bei Ridaf eine Ausbildung machen wollte – was auch gelang. Özlem Isfendiyar machte lernte dort Bürokauffrau. Und Cem Özdemir, der künftige Bundes-Landwirtschaftsminister war auch mal bei Ridaf. Aber nur kurz – und meist doch nicht da, wie sich Schwille schmunzelnd erinnert.

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